Die Augen der (Medien-) Welt richteten sich von Juli bis Anfang September verstärkt auf Japan. Auf die olympischen Spiele folgten die paralympischen Spiele, beide abgehalten in Tokio. Doch die mediale Aufmerksamkeit galt nicht nur Medaillen und Rekorden. Proteste und Kritik an den Großveranstaltungen machten ebenso Schlagzeilen.
SCHLAGZEILEN AUS TOKIO
Im Vorfeld der olympischen Spiele kam es zu Protesten der Bevölkerung. Die Großveranstaltung angesichts der immer noch wütenden Covid19-Pandemie abzuhalten wurde als „leichtsinnig“ bezeichnet. Auch der finanzielle Aspekt wurde in die Kritik genommen. Die olympischen Spiele würden auf dem Rücken der armen Bevölkerungsteile ausgetragen. Die verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind auch in Japan deutlich zu spüren. Es scheint mehr als nur ironisch, eine Sportveranstaltung zu finanzieren, anstatt des Kampfes gegen das Covid19-Virus. Die öffentlichen Gelder hätten bessere Verwendung in der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation gefunden. In der von der Pandemie gebeutelten Ökonomie finden sich insbesondere Frauen und unregelmäßig arbeitende Personen in prekären Situationen.
OLYMPIAS SCHWARZE WESTE
Die Proteste in den Sommermonaten reihen sich ein in eine traurige Folge negativer Schlagzeilen rund um die Vorbereitungen der olympischen Spiele in Tokio. Die beiden früheren Kreativdirektoren sowie der Komponist der Veranstaltung hatten sich misogynes und diskriminierendes Verhalten zu Schulden kommen lassen. Während der Spiele lenkte Simone Biles, Kunstturnerin, mit ihrem freiwilligen Rücktritt aus dem Team den Blick auf die mentale Gesundheit von Spitzensportlern. Sie sprach aus, was sich wenige trauen und äußerte sich zu der enormen Belastung, unter der Sportler leiden. Annika Schleus Zusammenbruch während ihres Fünfkampf-Ritts erschien in diesem Zusammenhang wie eine Bestätigung von Biles Aussagen. Sie erschien ebenso wie Ihre Trainerin, Kim Raisner, hoffnungslos überfordert. Grenzen wurden überschritten und Tierrecht verletzt. Ebenso von Grenzüberschreitungen zeugen die Vorwürfe und Untersuchungen zu sexuellem Missbrauch in den Riegen von olympischen Teams.
Nur sind weder Olympia selbst noch die Veranstaltung in Tokio schwarze Schafe, die den Glanz der Medaillen trüben. In vielen Bereichen des Profisports häufen sich Skandale und Vorwürfe, die ein wenig glamouröses Bild zeichnen. Trotz der Bemühungen seitens der FIFA, Menschenrechte zu schützen und deren Verletzung zu verhindern, sind insbesondere „Menschenhandel“ und „Ausbeutung“ Schlagworte, die sich im Kontext von Profifußball wiederholt finden.
MENSCHENHANDEL IM PROFIFUSSBALL
Um nach Europa zu kommen und für dortige Vereine zu spielen, sind Fußballspieler aus nicht-europäischen Ländern auf lokale Spielervermittler angewiesen. Dies führt oftmals zu Abhängigkeitssituationen den Vermittlern oder Beratern gegenüber, wie im Falle des Spielers Katompa Mvumpa. Dieser hatte während seiner Zeit in Paris weder auf sein Konto noch seine Papiere Zugriff. Er war seinem damaligen Spielerberater ausgeliefert. Oftmals kommen Nachwuchstalente gar nicht erst so weit wie Mvumpa, der immerhin vom FC Paris und später dem VfB Stuttgart unter Vertrag genommen wurde. Viele junge Spieler finden – entgegen den Versprechen der Spielervermittler – keinen Verein, sobald Sie in Europa angekommen sind. Oder sie werden nach Ihrer Ankunft sich selbst überlassen – nachdem ihre Familie bereits Geld an den Spielervermittler für Papiere, Tickets und Provision gezahlt hat.
Der Einstieg in den europäischen Fußball und ein Profivertrag bedeuten allerdings nicht das Ende von gewinnmaximierenden Machenschaften auf Kosten der Spieler. Auch wenn offiziell von „Einkauf“ und „Verkauf“ von Spielern die Rede ist, so ist das so sehr in den Sprachgebrauch gesickert, dass diese Formulierungen kaum zu gehobenen Augenbrauen führen. Die Bedeutung dieser Vorgänge zwischen den Vereinen ist aber durchaus wortwörtlich zu nehmen. Lennart Hartmann war angehender Profi-Fußballer, bis er aussortiert wurde. Er spricht eine deutlichere Sprache und nennt diese Art von Spielerwechsel „Menschenhandel“. Alleine steht er mit dieser Meinung nicht da. Immer wieder ist von Menschenhandel im Profifußball die Rede.
DIE OPFER DER WM
Nicht nur Spieler sind von der dunklen Seite des Profifußballs betroffen. Bereits vor dem Anpfiff des ersten Spiels häuften sich Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Kapstadt, die in Zusammenhang mit der WM stehen. Die Ausbeutung der Bauarbeiter, die unter widrigen Bedingungen zu Hungerlöhnen die Stadien bauten, gehört dazu. Ebenso die Zwangsumsiedlung und Vernichtung ganzer Armenviertel, die dem Stadion oder neuer Shopping-Malls im Weg standen. Die steigende Nachfrage an Prostitution während der WM bringt Frauen und Mädchen in größere Gefahr, als der sie ohnehin ausgesetzt sind. Es folgen verstärkt Zwangsprostitution und Verschleppung. Vor und während der WM in Katar waren vor allem Minderjährige gefährdet, da während der WM die Schulen geschlossen wurden und Kinder unbeaufsichtigt blieben. Somit waren sie leichte Opfer von kriminellen Ringen, die unter anderem Mädchen und Frauen angebliche Ferienjobs anboten, sie zu vermeintlichen Schönheitswettbewerben einluden oder Fotos von Ihnen schossen. Die Fotos wurden vermutlich verwendet um Kataloge der potenziellen „Ware“ – Kindern und Jugendlichen – anzufertigen, gab ein Polizeisprecher an.
Auch in Brasilien fanden sich Menschenrechtsverletzungen vor und während der WM 2016. Auch dort wurden wie in Kapstadt arme Wohnviertel zwangsgeräumt und Menschen enteignet. Demonstranten, die ihre Stimme gegen die Auswirkungen der WM erheben wollten, wurden durch die Polizei brutal bekämpft. Legalisiert wurde die Beschränkung von Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht durch ein eigens erlassenes Anti-Terror-Gesetz, welches demonstrierende Personen als terrorverdächtigt einstufte.
Im Mai 2017 wurde die FIFA’s Human Rights Policy veröffentlicht um ein deutliches Zeichen für die Einhaltung von Menschenrechten zu setzen. Nur ein Jahr später folgten allerdings weitere Skandale, diesmal aus Russland. Im Zuge des Stadionbaus für die WM 2018 wurden Menschenrechtsverpflichtungen nicht eingehalten und Zwangsarbeiter aus Nordkorea eingesetzt. Die WM in Katar 2022 wirf ebenfalls ihren Schatten schon voraus. Stand März 2021 ließen 44 Arbeiter auf der WM-Baustelle bereits Ihr Leben, laut Schätzungen könne der Stadien-Bau weitere 600 Opfer fordern, werden die Bedingungen nicht drastisch verbessert. Die Arbeiter sind mangelnder Hygiene in den Unterkünften, schlechtem Arbeitsschutz und extremer Ausbeutung ausgesetzt.
MISSBRAUCH VON MACHTPOSITIONEN
Auch Machtmissbrauch in Form von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt wird im Sport begangen – auf allen Ebenen von Amateur bis Profisport. Der Arzt Larry Nassar, der in den USA Turnerinnen betreute, wurde wegen über 100 Fälle sexuellen Missbrauchs verurteilt. Zu seinen Opfern zählen die Olympia-Gold Gewinnerinnen McKayla Maroney, Aly Raisman und Gabby Douglas. In Haiti wurden Untersuchungen gegen den ehemaligen Präsidenten der Haitian Foodball Federation Yves Jean-Bart geführt. Er soll junge Athletinnen sexuell missbraucht haben. Weitere Fälle von Machtmissbrauch seitens Coaches, Trainern oder andern Funktionären im Sport finden sich in Schwimmteams der USA, dem American Football und dem Englischen Fußball – um nur einen kleinen Ausschnitt der grausamen Realität aufzuzeigen.
GEWALT UNTER FANS
Die EM im Sommer 2021 sollte etwas Normalität in die Pandemie-belastete Welt bringen. Nach der EM-Niederlage von England zeigte sich, wie stark Rassismus Teil der Realität vieler ist. Rassistische Hassbotschaften gegen die drei Spieler, die das Elfmeterschießen verloren, wurden im Internet verbreitet. Der Frust von Fans entlud sich aber auch in weniger zielgerichteten Anfeindungen und Drohungen via Social Media Botschaften, aber auch Gewaltausbrüchen, Beschimpfungen und Vandalismus auf der Straße. Unbeteiligte Personen waren Gewalt und Gefahr ausgesetzt. Es waren schockierende Bilder, die durch die Medienlandschaft gingen. Meist jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit und ohne visuelle Dokumentation sind Szenen häuslicher Gewalt, die vermehrt auf Fußballspiele folgen. Statistiken zeigen einen signifikanten Anstieg von Gewalttaten in partnerschaftlichen Gefügen. Alkoholkonsum und Frustration sind meist die Triebfeder für die Ausschreitungen, denen insbesondere Frauen zum Opfer fallen.
DAVID GEGEN GOLIATH?
Die dunklen Seiten des Sports ziehen sich von Fans und Amateur Vereinen bis in den Profisport. Sie scheinen jedoch insbesondere in den höheren Rängen im System verankert zu sein. Wo sportlicher Ehrgeiz zu Erfolgszwang wird, entsteht bald eine Blase, in der sich die Betroffenen Machtmissbräuchen und psychischem Druck nur schwer entziehen können. Wo das Image von Ländern durch sportliche Großveranstaltungen aufpoliert werden soll, werden insbesondere die ärmeren Teile der Bevölkerung zu Opfern des Events. Enteignungen, Zwangsprostitution, prekäre Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung sind nicht weit von den WM-Stadien dieser Welt. Wie die oft fehlschlagenden Bemühungen der FIFA zeigen, sind Menschenrechte keineswegs sichergestellt, auch nicht durch große Verbände. Ein Gefühl der Machtlosigkeit und Frustration stellt sich angesichts dessen schnell ein. Auch, oder gerade weil es eine David-gegen-Goliath Situation scheint, ist es umso wichtiger, den Blick dahin zu lenken, wo es schmutzig wird. Seine Stimme dehnen zu leihen, die stumm gehalten werden. Solidarität zeigen. Sichtbarkeit schaffen. Und das zu boykottieren, was Menschenrechte zu Gunsten von Unterhaltung missachtet.