Womit Opfer psychischer und physischer Gewalt zu kämpfen haben

Psychische und physische Gewalt hat weitreichende Folgen für Menschen, die davon betroffen sind oder waren. Frau Mag. Susanne El Mahdi ist Psychologin und beantwortet in diesem Text einige Fragen zum Thema.

Wie wirken sich traumatische Erlebnisse sowie psychische und physische Gewalt auf Betroffene aus?

Der Begriff des “Traumas” oder der “traumatischen” Störungen wird von uns im Alltag inzwischen inflationär gebraucht. Natürlich erleben wir alle unsere kleineren oder größeren Traumata im Leben, aber eine als im psychiatrischen Sinne als pathologisch einzuordnende traumatische Störung muss gewisse “Bedingungen” erfüllen, bestimmte Merkmale aufweisen. Die “Internationale Klassifikation psychischer Störungen” der WHO nennt folgende Störungsbilder nach traumatischen Erfahrungen: Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, dissoziative Störung und andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

Warum kategorisiert man das Leid Betroffener auf diese Art und Weise und welche Schwierigkeiten ergeben sich bei möglichen psychotherapeutischen Hilfsangeboten?

Eine international gültige Beschreibung von Störungsbildern ermöglicht einerseits das Gespräch über psychologisch und psychiatrisch relevante Auffälligkeiten, andererseits simplifiziert und nivelliert sie Leidenszustände von Menschen, die individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können, nicht zuletzt wegen kulturell geprägter Möglichkeiten Leidenszustände als solche zu erfahren und anderen mitzuteilen.

Im Zusammenhang mit Menschen – in meinem Erfahrungsbereich sind das oftmals Frauen, die Opfer von Menschenhandel werden – die von Menschenhandel betroffen sind, kommt für eine mögliche psychotherapeutische Hilfestellung erschwerend hinzu, dass deren Lebenssituation nicht nur von “traumatischen” Erfahrungen geprägt ist, sondern zudem meist auf einer höchst instabilen Basis steht:

Von Menschenhandel betroffene Menschen befinden sich zumeist illegal in jenem Land, in das sie eben “gehandelt” wurden, werfen sie also “ihre Ketten ab”, indem sie sich von ihren “Händlern”, Zuhältern, “Vorgesetzten”, … lossagen, droht ihnen zumeist Abschiebung; sagen sie gegen diese bei der Polizei aus oder besteht bei Menschenhändlern der Verdacht darauf, dass dies geschehen könnte, sind Opfer von Menschenhandel auch an Leib und Leben bedroht.

In Rahmen dieser komplizierten Situation ist es den von Menschenhandel Betroffenen kaum möglich, Vertrauen zu fassen oder zwischen Personen zu unterscheiden, die sich für ihr Wohl einsetzen und solchen, die sie etwa zur Prostitution zwingen. Nicht nur jede Hilfestellung im Alltag ist von dieser schier unlösbaren Ausgangssituation geprägt, natürlich verunmöglicht sie im Grunde auch jegliche psychotherapeutische Maßnahme. Soll Psychotherapie wirksam werden, muss die Sicherheit bezüglich eines langfristigen Aufenthalts gegeben sein; Psychotherapie kann nicht “Sicherheit” schaffen bzw. “vorgaukeln”, wo Sicherheit tatsächlich nicht ist. 

Wie sehr tragen gesellschaftliche Einflüsse zum Leid Betroffener bei?

Zu den psychiatrisch relevanten Symptomen der Betroffenen kommt noch die sicherlich ebenso “traumatisierende” Erkenntnis oder zumindest Ahnung hinzu, in der Welt und im Wertesystem anderer völlig bedeutungslos zu sein, das persönlich erlebte Leid ist oft sogar die Grundlage für das vermeintliche “Vergnügen” anderer. Unser “Luxus” beruht großteils auf der Ausbeutung anderer, deren Lebensumstände uns völlig gleichgültig sind. Die Problematik verläuft doch mit fließenden Grenzen – man denke an die völlig unterbezahlten und sozial nicht abgesicherten PaketzustellerInnen, Essenslieferanten, usw.

Was genau charakterisiert die oben angeführten Störungsbilder?

Symptomatisch für eine Belastungsreaktion können sein: eine Art von “Betäubung“; eine gewisse Bewusstseinseinengung und eingeschränkte Aufmerksamkeit; Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten; Desorientiertheit; ein Sich-Zurückziehen aus der aktuellen Situation bis hin zum Stupor; Verringerung oder Fehlen willkürlicher Bewegungen und normaler Reaktionen auf äußere Reize wie Licht, Geräusche oder Berührung]; oder aber : Unruhe und Überaktivität (Fluchtreaktion, Fugue); panische Angst, Tachykardie, Schwitzen, Erröten.

Symptomatisch für eine posttraumatische Belastungsstörung: das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, “flashbacks“) oder Träumen; andauerndes Gefühl des Betäubtseins oder der emotionalen Stumpfheit; Gleichgültigkeit gegenüber anderen MenschenTeilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber; Anhedonie, Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten; sogar Furcht vor und das Vermeiden von Stichworten, die an das ursprüngliche Trauma erinnern könnten; manchmal AngstPanikAggression; Zustand vegetativer Übererregtheit; übermäßige Schreckhaftigkeit; Schlaflosigkeit; DepressionSuizidgedankenDrogenkonsum; übermäßiger Alkoholkonsum.

Die Störungsbilder sind insgesamt auch für die nächste Generation (Kinder,…), – sofern es diese unter diesen Umständen überhaupt gibt – erkenn- und spürbar; insbesondere die emotionale Stumpfheit und die Gleichgültigkeit gegenüber anderen (auch den eigenen Kindern) macht es plausibel, warum “traumatische Erfahrungen” transgenerational weitergegeben werden.

Wie geht man bei der Behandlung traumatisierter Menschen vor?

Bei der Behandlung von “Traumatisierten” ist es notwendig, mit den “verschütteten” Gefühlen und Erfahrungen allmählich wieder in Kontakt zu kommen, diese zu besprechen, einzuordnen, emotional zu bewältigen – und dies in einer ausgewogenen Balance, damit die Betroffenen durch eine allzu plumpe Konfrontation mit dem Erlebten keine Retraumatisierung erfahren. Dies ist eine psychoanalytische Sicht- und Zugangsweise, andere Therapieformen mögen andere Vorgangsweisen präferieren.

Sind traumatisierte Patient*innen zu Beginn der Therapie eher verschlossen?

“Verschlossenheit” im Sinne von “Schweigsamkeit” bedeutet im therapeutischen Prozess insbesondere mit traumatisierten PatientInnen nicht, dass sie sich (noch) nicht anvertrauen. Das Trauma bedingt, dass das Erlebte für die PatientInnen selbst (noch) nicht spürbar und damit sprachlich auch noch nicht mitteilbar ist; das traumatische Geschehen teilt sich zunächst anders mit.

Womit haben frühzeitig missbrauchte Personen im Laufe ihrer Entwicklung zu kämpfen?

Anzunehmen ist sicherlich, dass frühzeitig missbrauchte Menschen nie gelernt haben, auf ihre Bedürfnisse und Grenzen zu achten. Mitunter werden unerträgliche innere Zustände von Betroffenen später mittels Drogenkonsum, der als eine Art missglückte Selbstmedikation aufgefasst werden kann, zu dämpfen und damit zu ertragen versucht; im Drogenmilieu ist es üblich, die eigene Sucht durch Prostitution zu finanzieren.

#Menschenhandel #Menschenrechte #Psychologie #Therapie #Hilfe #Trauma #Gewalt #AgainstHumanTrafficking #GegenMenschenhandel #EndExploitation #EndTrafficking #HopeForTheFuture #Österreich