Opferschutz beginnt mit der Wortwahl

Worte formen unsere Realität. Sie beeinflussen, wie wir Probleme wahrnehmen, Prioritäten setzen und Lösungen entwickeln. Insbesondere im sensiblen Bereich des Kinderschutzes hat die Sprache eine immense Macht. Sie kann aufklären, schützen und heilen – oder aber verharmlosen, stigmatisieren und verletzen. Die bewusste Wahl unserer Begriffe ist daher nicht nur eine Frage der sprachlichen Korrektheit, sondern ein grundlegender Akt des Schutzes vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch.

Der Begriff „Kinderprostitution“ oder auch “child prostitution” wird in den Terminology Guidelines von ECPAT International ausdrücklich als zu vermeidender Begriff eingestuft. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, da er in vielen rechtlichen und medialen Kontexten verwendet wird. Doch die Gründe für diese Empfehlung sind tiefgreifend und essentiell für den Schutz von Kindern:

  1. Implikation von Zustimmung und Legitimität: Die Hauptkritik an „Kinderprostitution“ ist, dass der Begriff fälschlicherweise eine Zustimmung oder sogar eine legitime „Arbeit“ des Kindes suggerieren könnte. Es ist jedoch von größter Bedeutung zu betonen, dass ein Kind niemals in der Lage ist, der eigenen sexuellen Ausbeutung oder dem Missbrauch zuzustimmen. Jegliche angebliche „Zustimmung“ eines Kindes zu ausbeuterischen oder missbräuchlichen Handlungen ist rechtlich null und nichtig.

  1. Verschiebung der Schuld:  Begriffe wie „Kinderprostituierte“ laufen Gefahr, die Schuld auf das Kind zu verlagern und es für das erlittene Verbrechen verantwortlich zu machen. „Das Wort ‚Kinderprostituierte‘ sollte nicht verwendet werden, es sollte nicht zur Beschreibung eines Kindes verwendet werden, das Opfer ist. […] wir sollten diesen Begriff niemals verwenden, um eine Person oder ein Kind zu beschreiben, die/das sexuelle Ausbeutung erlebt.

  1. Verharmlosung der Schwere: Durch die Verwendung des Wortes „Prostitution“, dass im Kontext von Erwachsenen oft mit „Sexarbeit“ assoziiert wird, kann die extreme Schwere und die kriminelle Natur der Ausbeutung von Kindern trivialisiert werden. Sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ein Verbrechen und eine schwere Menschenrechtsverletzung, keine Form von Arbeit.

  1. Rechtliche Präzision:  Eine inkonsistente Terminologie kann zu inkonsistenten Gesetzen und politischen Reaktionen führen, was die Entwicklung wirksamer Schutzmaßnahmen erschwert. Länder wie das Vereinigte Königreich haben bereits in ihrer Gesetzgebung, wie dem Serious Crime Act 2015, alle Verweise auf „Kinderprostitution“ entfernt und durch „sexuelle Ausbeutung von Kindern“ ersetzt.

ECPAT International empfiehlt stattdessen in ihren Terminology Guidelines Begriffe wie „Ausbeutung von Kindern in/für Prostitution“ oder „Kinder, die sexueller Ausbeutung in Prostitution ausgesetzt sind“. Diese Formulierungen stellen klar, dass das Kind ein Opfer ist, und betonen den Akt der Ausbeutung durch den Täter, ohne dem Kind eine (Co-)Verantwortung zuzuschreiben.

Es ist wichtig zu betonen, dass der umgangssprachliche Begriff „Loverboy“ ein reales und gefährliches Phänomen beschreibt, das sich nahtlos in die in den Terminologie-Richtlinien behandelten Konzepte der sexuellen Ausbeutung von Kindern einfügt – insbesondere in das sogenannte „Grooming“.

„Grooming“ ist der offizielle Begriff, der als das gezielte Ansprechen und Gewinnen von Kindern zu sexuellen Zwecken definiert wird. Dabei handelt es sich um einen schrittweisen Prozess, bei dem eine erwachsene Person – häufig über das Internet, aber auch im direkten Kontakt – eine emotionale Bindung zu einem Kind aufbaut, um es anschließend sexuell zu missbrauchen oder auszubeuten. Zentrale Mittel dabei sind Vertrauensaufbau, emotionale Manipulation und das Ausnutzen eines Machtgefälles.

Die sogenannte „Loverboy-Methode” ist eine besonders perfide Form dieses Groomings: Täter täuschen gezielt eine romantische Beziehung vor, um Kinder und Jugendliche emotional abhängig zu machen – mit dem Ziel, sie in die sexuelle Ausbeutung zu drängen.

Warum der Begriff „Loverboy“ problematisch ist, zeigen die folgenden Punkte:

  1. Romantisierung und Trivialisierung des Verbrechens:  Der Begriff „Loverboy“ impliziert eine romantische oder liebevolle Beziehung („Lover“), die in Wirklichkeit eine zutiefst manipulative und kriminelle Ausbeutung ist. Dies verharmlost die Schwere der Tat und verzerrt die öffentliche Wahrnehmung des Verbrechens. Es lenkt von der Tatsache ab, dass es sich um erzwungene sexuelle Handlungen handelt, die auf Betrug, Täuschung und dem Missbrauch einer Vertrauensposition beruhen.

  1. Opfer-Blaming und Verantwortungsverschiebung:  Die Fokussierung auf eine „Beziehung“ – selbst wenn sie nur vorgetäuscht ist – kann dazu führen, dass die Opfer als „Mitwisser“ oder „freiwillig“ handelnd wahrgenommen werden. Dies steht im direkten Widerspruch zum Grundsatz, dass Kinder ihrer Ausbeutung niemals zustimmen können und die Verantwortung stets beim Täter liegt.

  1. Verzerrung der Täter-Opfer-Dynamik: Es ist wichtig, zwischen Tätern und Opfern klar zu unterscheiden und die komplexen Täter-Typologien zu verstehen. Ein „Loverboy“-Täter ist ein Täter sexueller Straftaten gegen Kinder, der seine Position, sei es durch Manipulation oder vorgebliche Zuneigung, ausnutzt, um sexuelle Ausbeutung zu begehen.

  1. Fehlende rechtliche Anerkennung und Handhabung:  Da „Loverboy“ kein offizieller oder rechtlicher Begriff ist, kann seine Verwendung die rechtliche Verfolgung erschweren und zu Lücken im Schutz führen. Die Guidelines von ECPAT International betonen, dass es entscheidend ist, die Definition von Grooming so zu erweitern, dass sie auch „Treffen“ im Online-Bereich umfasst und nicht nur physische Treffen erfordert, da Täter oft gar keine persönlichen Treffen beabsichtigen, sondern Kinder zur Produktion sexueller Bilder oder Videos manipulieren. Dies unterstreicht, wie wichtig präzise Begriffe sind, die die volle Bandbreite der Ausbeutung abdecken.

Um die dahinterstehenden kriminellen Handlungen angemessen zu beschreiben, sollten offizielle und präzise Begriffe wie „Grooming von Kindern zu sexuellen Zwecken“ oder „(sexuelle) Verleitung von Kindern online“ verwendet werden. Diese Begriffe betonen die Täuschung, Manipulation und Ausbeutung und machen deutlich, dass das Kind das Opfer ist, das Schutz und Unterstützung benötigt.

Inkonsistente Sprache und Begriffe können zu Verwirrung führen, die Rechtsentwicklung behindern und die Datenerfassung erschweren, was zu fehlerhaften Reaktionen und ineffektiven Methoden zur Messung der Auswirkungen oder zur Festlegung von Zielen führt. Das Vermeiden von stigmatisierenden oder schuldzuweisenden Begriffen wie „Kinderprostitution“ und umgangssprachlichen Verharmlosungen wie „Loverboy“ ist ein zentraler Aspekt einer Opfer zentrierten Herangehensweise. Es geht darum, die Würde Betroffener zu schützen und klarzustellen, dass die Verantwortung für Missbrauch und Ausbeutung immer bei den Tätern liegt.

Die Wahl unserer Worte ist ein mächtiges Werkzeug im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung und Missbrauch. Indem wir präzise, respektvolle und nicht stigmatisierende Begriffe verwenden, schaffen wir eine Grundlage für effektivere Gesetze, bessere Schutzmechanismen und eine Gesellschaft, die die Rechte und Würde von Betroffenen uneingeschränkt achtet. Sprache ist Macht – nutzen wir sie.

#Kinderprostitution #Loverboy-Methode #childprostitution #Sprache #Loverboy #sexuelleAusbeutung #Grooming #Kinderschutz #Menschenhandel #Ausbeutung #AgainstHumanTrafficking #GegenMenschenhandel #EndExploitation #EndTrafficking #HopeForTheFuture #Österreich

Sommer-Sale: 50 % Rabatt auf unsere vorherigen Kollektionen*!
Nur für kurze Zeit
*Neue Kollektion ausgeschlossen.

X