Menschenhandel und Zwangsarbeit in Europa – Hotspot Niederlande, warum sinkende Opferzahlen besorgniserregend sind.

Die Niederlande galt lange Zeit als Europas Hotspot für Menschenhandel und Zwangsarbeit, vor allem in der Sexindustrie. Die Europäische Kommission meldete 2016 1.561Fälle in den Niederlanden, die höchste Zahl Europas. Doch wie sieht die Situation Heute aus? 

ALARMIERENDE ZAHLEN

2016 berichtete die Europäische Union, dass zwischen 2013 und 2014, 15.846 Opfer von Menschenhandel registriert wurden, wovon zumindest 15% Kinder waren. Die Niederlande fasste die größte Zahl an Opfern mit 1.561 gemeldeten Fällen, gefolgt von Großbritannien und Rumänien. Der Bericht warnt, dass sich durch die Migrationskrise neue Möglichkeiten der Ausbeutung für Kriminelle eröffneten. Ein Jahr später, bringt der NL Rapporteur (Der Nationale Berichterstatter für Menschenhandel und sexuelle Gewalt gegen Kinder) alarmierende Hochrechnungen. Laut der niederländischen NGO, schätzt man mit über 6.000 Opfern von Menschenhandel jährlich. Zwei Drittel davon seien zu Sexarbeit gezwungen. Die Schätzungen wurden zusammen mit dem United Nations Office on Drugs and Crime berechnet.

AKTUELLE LAGE IN DEN NIEDERLANDEN

Die Niederlande sind überwiegend ein Ursprungs- aber auch ein Transit- und Zielland des Menschhandels. Die Definition von Menschenhandel der Internationalen Organisation für Migration stellt fest, dass Menschenhandel häufig grenzüberschreitend passiert, aber auch innerhalb eines Landes stattfinden kann. In den Niederlanden werden Menschen aus verschiedenen Ländern zum Zweck der kommerziellen sexuellen Ausbeutung und Zwangsarbeit zum Beispiel im Gastgewerbe, in der Landwirtschaft oder in der Reinigung verschleppt. Jedoch kommen die meisten Opfer direkt aus den Niederlanden. 

Die aktuellsten Zahlen aus 2018 zeigen, dass etwa 36 % der Opfer niederländische Staatsbürger sind. Die Mehrzahl der ausländischen Opfer stamme aus EU-Ländern (Rumänien, Bulgarien und Polen), gefolgt von Opfern aus Ländern Afrikas und Asiens (Nigeria, Uganda und Vietnam). Die größte Gruppe der Opfer machten mit 72% Frauen aus, wobei 45,9% minderjährig (unter 23) waren. Die Mädchen werden von sogenannten „Lover Boys“ in die Zwangsprostitution verschleppt. Das sind Männer, die junge Frauen und Mädchen – oft aus einem schwierigen Familienleben – verführen und zur Prostitution zwingen. Opfer bleiben aufgrund systematischer körperlicher und emotionaler Gewalt sowie des Missbrauchs und der Technologie, die die Täter einsetzen, um die Opfer unter Kontrolle zu halten, darin gefangen. 

Die Prostitutionsindustrie ist in den Niederlanden seit dem Jahr 2000 legal. Nach der Legalisierung stieg die Nachfrage nach Dienstleistungen, das Angebot jedoch nicht. Dadurch bleibt der illegale Menschenhandel interessant, um die Nachfrage weiterhin zu decken. Ein Bericht der EU-Kommission belegt weiterführend, dass Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Spanien, die Schweiz und das Vereinigte Königreich aufgrund der hohen Nachfrage nach billigen Sexual- und Arbeitsdiensten am stärksten von Menschenhändlern als Zielland aufgesucht werden. Auch Österreich, Deutschland, Griechenland und die Schweiz regulieren die Prostitution in unterschiedlichen Formen, sodass die Zahl, der nicht registrierten Opfer durchaus höher sein kann.

MASSNAHMEN DER NIEDERLÄNDISCHEN REGIERUNG

Die Rechtsanwältin Corinne Dettmeijer-Vermeulen engagiert sich seit Jahren für Opfer von Menschenhandel und ist ein ehemaliges Mitglied des NL Rapporteur. In einem Interview der Universität Leiden sagte sie 2018: „Ich denke, der niederländische Ansatz zur Bekämpfung des Menschenhandels funktioniert auf einem sehr hohen Niveau, insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern. Doch solange wir in den Niederlanden jedes Jahr mehr als 6.000 Opfer von Menschenhandel sehen, reicht dieser Ansatz einfach nicht aus“. 

Im Jahr 2018 hat die niederländische Regierung ihren neuen Plan zur Bekämpfung des Menschenhandels umgesetzt. Er konzentriert sich auf die Identifizierung von Opfern, die Stärkung der Kommunikation zwischen den Aktionären, Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels auf lokaler Ebene und die Verstärkung der Arbeit zur Verhinderung des Menschenhandels. Seitdem hat die Task Force Bordelle inspiziert, Gemeindeleiter darin geschult, Menschenhandel zu erkennen, um sicher einzugreifen, und hat ihre Bemühungen gegen den Kinderhandel verstärkt. Des Weiteren finanziert die niederländische Regierung Unterkünfte für Opfer und unterstützt mit rechtlichen Schritten gegen die Schlepper. Außerdem müssen angehende Polizisten auf der Akademie eine verpflichtende Ausbildung im Umgang mit Menschenhandel absolvieren. 

Doch was sagen die Zahlen Heute? Vor kurzem hat die Walk Free Foundation den neuen Global Slavery Index veröffentlicht, der den Ansatz zum Menschenhandel in 167 Ländern bewertet. Laut dem Index sind die Niederlande das einzige Land, das ein „A“ erreicht hat, und ist damit das Land, das von all diesen 167 Ländern am meisten gegen den Menschenhandel vorgeht. Im jährlichen Trafficking in Persons (TIP) Report der US-Regierung wird der niederländische Ansatz zum Menschenhandel durchgängig mit einem sogenannten „Tier 1“-Score bewertet, was bedeutet, dass er die US-Mindeststandards vollständig erfüllt.

BESORGNISERREGENDE, SINKENDE ZAHLEN

Der Victims Monitor 2013-2017 zeigt auch, dass die Zahl der potenziellen und tatsächlichen Opfer auf dem Radar von CoMensha von 1.256 im Jahr 2014 auf 958 im Jahr 2017 gesunken ist. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, da dieser Rückgang wahrscheinlich nicht auf einen Rückgang der tatsächlichen Opferzahl zurückzuführen ist, sondern durch eine Abnahme der Identifizierung der Opfer.

„Ich bin sehr besorgt über den Rückgang der Meldungen“, sagte Nationalreporterin Corinne Dettmeijer. „Der Menschenhandel ist nicht rückläufig. Wir wissen jetzt, dass die Zahl der Opfer bei etwa 6.250 pro Jahr liegt, und das bedeutet, dass immer mehr Fälle unter dem Radar bleiben.“

Es wird angenommen, dass der über die Jahre ermittelte Rückgang der Zahl der mutmaßlichen Opfer von Menschenhandel auf die weitreichende Reorganisation der Polizei zurückführbar ist. Ein weiterer Grund könnte die politische Entscheidung über neue Prioritäten für die Strafverfolgungsbehörden sein, die auf die Zunahme von Migranten und Asylsuchenden und die Zunahme terroristischer Bedrohungen zurückzuführen ist. Ein erheblicher Teil der Zahl möglicher Opfer in den Niederlanden bleibt noch immer aus den Augen der beteiligten Behörden. Daher sollte die niederländische Regierung den Ehrgeiz haben, den Umgang mit Menschenhandel weiter zu intensivieren.