Kapitalismus und Menschenhandel

Menschenhandel wurde über die letzten Jahrzehnte zu einem profitablen Business. Grund dafür sind in erster Linie nicht nur kriminelle Banden, die mittlerweile professionell organisiert sind. Der Fehler steckt wie so oft im System, in diesem Fall bedeutet das: Unser Wirtschaftssystem, auch bekannt als Kapitalismus, toleriert nicht nur, sondern fördert Menschenhandel und andere verächtliche Praktiken zur Akkumulation von Kapital.

ERNÜCHTERNDE STATISTIKEN

Menschenhandel nimmt zu. Entgegen der Annahme, dass Sklaverei schon längst abgeschafft wurde. Entgegen der Annahme, dass der allgemeine Wohlstand wächst. Und entgegen der Annahme, dass in der Bekämpfung organisierter Kriminalität effektive Maßnahmen ergriffen werden. Wie kann das sein? Auf der einen Seite wird in den Medien regelmäßig vom vielzitierten „menschlichen Fortschritt“ berichtet. Unsere Demokratien, fußend auf Menschenrechten und funktionierenden staatlichen Organen, sind zwar nicht fehlerfrei, werden aber als Garant für Freiheit und Würde des Menschen gesehen. Und trotzdem: In den vergangenen Jahren ist der Menschenhandel in Europa deutlich gestiegen. Bedenklich ist, dass noch dazu von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss.

DIE ROLLE DER WIRTSCHAFT

Warum gibt es zunehmend mehr Opfer von Menschenhandel? Der Mensch ist für sich allein schon ein komplexes Wesen. Die Beziehung zwischen tausenden, hunderttausenden oder gar Millionen von Menschen, also von ganzen Gesellschaften und ihren Eigenschaften zu untersuchen, ist ungemein komplexer. Den einen Grund für die leider steigenden Opferzahlen in diesem Bereich gibt es nicht. Doch man kann versuchen zu verstehen, welche gegenwärtigen Phänomene großen Einfluss auf das Verhalten von Menschen haben. Ein Phänomen, das mit der industriellen Revolution Fahrt aufgenommen hat und bis heute andauert ist der Kapitalismus.

Aus Geld mehr Geld zu machen wurde zu einem Credo, einer alternativlosen Idee, um derer Willen man, wie man sieht, auch Menschenrechte auf der Strecke lässt. In einem Wirtschaftssystem, in dem das oberste Prinzip die Vermehrung von Kapital ist, sind Werte wie Solidarität, Toleranz, Naturverbundenheit oder Geschwisterlichkeit zweitrangig. Im schlimmsten Fall werden sie instrumentalisiert, um Profit zu machen – siehe Green Washing und ähnliche Praktiken.

DAS ORGANISIERTE VERBRECHEN

Der Soziologe Jean Ziegler schreibt in seinem Buch „Die Barbaren kommen: Kapitalismus und organisiertes Verbrechen“, dass ein kriminelles Kartell zunächst wie eine Wirtschaftsorganisation kapitalistischen Typs funktioniere: An erster Stelle stehe die Profitmaximierung, es werde vertikal kontrolliert und produktiv gearbeitet. Darüber hinaus sind Gewalt und besondere soziale Hierarchien Kennzeichen besagter Kartelle, die andere Wirtschaftsorganisationen wie „legal“ agierende Unternehmen nicht vorweisen. Doch wenn es um die Teilnahme am freien Markt geht, agieren kriminelle Banden wiederum in erstaunlich ähnlicher Weise wie der Rest der Wirtschaft. Sie profitieren von der Globalisierung und Liberalisierung der Märkte, wodurch beispielsweise Drogen- und Waffenschmuggel sowie Schlepperei und Menschenhandel ermöglicht wird. Ebenso machen sich besagte Organisationen soziales Elend und Lohndumping zunutze, um möglichst viel für sich selbst herauszuschlagen. In der BR-Doku „Ausbeutung in der Landwirtschaft: Der Preis für billiges Gemüse“ wird eindrucksvoll gezeigt, wie vorwiegend Menschen aus Afrika nach Spanien und Italien ziehen, um in der Landwirtschaft für Hungerlöhne und katastrophale Wohnmöglichkeiten zu arbeiten. Dabei kommen, besonders in Italien durch die Mafia, kriminelle und illegale Praktiken zum Einsatz – um Gemüse anzubauen, das in heimischen Supermärkten billig verkauft wird.

CAMUS UND DIE SOLIDARITÄT

Es wäre töricht zu meinen, ein globales Phänomen wie der Menschenhandel seien mit mehr Geheimdienstarbeit, strengeren Gesetzen, härteren Strafen oder anderen singulären Maßnahmen zu lösen. Wie angeschnitten wurde, ist einer der Hauptgründe für das Auftreten von Menschenhandel Profitgier, denn illegale und menschenunwürdige Methoden zur Geldvermehrung sind, obwohl sie selbstverständlich zu verurteilen sind, oft lukrativ und führen schneller zu Wohlstand als auf legale Art und Weise Geld zu verdienen.  Diese illegalen Methoden wiederum verbreiten sich, da die Ideologie des Kapitalismus einen der Grundpfeiler, wenn nicht den Grundpfeiler unserer Gesellschaft darstellt, der wiederum andere Werte wie Solidarität und die Gemeinschaft als solche in den Schatten stellt. Ohne Werte ist es einfacher moralisch fragwürdig zu handeln, wenngleich man dazusagen muss, dass viele Menschen aus unfreien Stücken kriminellen Netzwerken ausgesetzt sind. Sie haben aufgrund von Armut oft keine andere Wahl oder werden in kriminelle Milieus hineingeboren, in welchen nun mal eine andere Form der Sozialisierung stattfindet. Der französische Philosoph Albert Camus, selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, plädierte deshalb für Solidarität und die „Revolte“ gegen das Absurde. Das Absurde ist die Suche nach Sinn in einer Welt ohne Sinn, denn wo ist dieser zu finden? Nirgendwo, weder auf schmelzenden Gletschern, noch in überfüllten Einkaufszentren oder auf der alltäglichen, monotonen Arbeit. Aber auch wenn es keinen gibt, so ist gerade das Auflehnen gegen diese Sinnlosigkeit, das Nicht-Zufrieden-Geben mit dem Zustand der Welt eine Aufgabe, die uns mit Leidenschaft erfüllen kann, und der sich die Menschheit gemeinsam anstatt gegeneinander widmen kann. Und nur so, gemeinsam, kann auch dem Menschenhandel ein Ende gesetzt werden.

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