Familienblogger: Versteckte Kinderarbeit im Netz?

Kleine Babys, die kaum zensiert, oder lediglich mit einem dünnen Tuch bedeckt beim Baden gefilmt werden. Dreijährige, die auf YouTube dabei gezeigt werden, wie sie lernen eigenständig aufs Töpfchen zu gehen. Sechsjährige, die vor laufender Kamera einen Wutanfall bekommen. Und Neunjährige, die fröhlich im Garten herum hüpfen, mit Bikini bekleidet in den Pool springen und anschließend einem Millionenpublikum ihr Kinderzimmer präsentieren. Die Anzahl der entsprechenden Kanäle wächst, in denen Kinder auf diese oder ähnliche Weise mitwirken. Mama, Papa und die Kamera sind immer dabei – ob beim Kindergeburtstag, beim Arztbesuch oder auch beim Schlafen. Sogenannte „Familienblogger“ geben im Internet intimste Einblicke in das Leben ihrer eigenen Kinder und überschreiten dabei regelmäßig die Grenzen von Privatsphäre und Jugendarbeitsschutz. 

EIN TIEFER EINGRIFF IN PERSÖNLICHKEITSRECHTE, INTIMSPHÄRE UND DATENSCHUTZ

Wer sich regelmäßig auf diversen Plattformen, wie beispielsweise YouTube, Instagram und TikTok, aufhält, kennt sie: zahlreiche Eltern, die nicht nur ihr Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder tagtäglich mit einem Millionenpublikum teilen. Hierbei muss bedacht werden, dass es sich nicht um Privatpersonen handelt, die Fotos und Videos ihrer Kleinen lediglich mit dem eigenen Familien- und Freundeskreis teilen, sondern um Personen des öffentlichen Lebens, welche ihre Bekanntheit in der Regel über eben diese sozialen Netzwerke aufgebaut haben und oftmals mit den Aufnahmen ihrer Kinder auch Geld verdienen. Um wie viel Geld es sich hierbei handelt lässt sich pauschal schwer sagen, da es auf viele verschiedene Faktoren ankommt: die Häufigkeit der hochgeladenen Videos, die Anzahl der Abonnenten, wie oft und welche Werbungen geschalten werden, ob es bezahlte Produktplatzierungen gibt, ob die jeweiligen Personen zusätzlich Merchandise-Artikel verkaufen oder von ihren Fans Spenden bekommen. Dem Standard zufolge kann ein YouTube-Kanal mit einer Million Abonnenten jährlich zwischen 100.000 und 200.000 Euro verdienen. Es handelt sich also um ein lukratives Geschäft, das den Lebensunterhalt einer ganzen Familie sichern kann.

Rechtlich gesehen bewegen sich die Familienblogger hierbei in einer Grauzone.  Im Allgemeinen hat jede Person schon von Geburt an bestimmte Persönlichkeitsrechte, wie beispielsweise das Recht auf Privatsphäre, Anonymität und das Recht am eigenen Bild.  Mit anderen Worten: Nur die abgebildeten Kinder selbst können darüber entscheiden, ob die Fotos beziehungsweise Videos von ihnen veröffentlicht werden dürfen. Die Eltern können hierbei die Zustimmung für das Kind nicht erteilen. Wenn man als Elternteil seine sechsjährige Tochter allerdings fragt, ob man ein Video von ihr ins Internet stellen darf, muss man natürlich hinterfragen, ob das Kind einschätzen kann, was das überhaupt bedeutet.

Zudem muss bedacht werden, dass Kinder sich in einem natürlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern befinden und dadurch in gewisser Weise in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst werden können. Diese Aufnahmen dann zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Netz verschwinden zu lassen, grenzt an ein Ding der Unmöglichkeit. Diese von den Eltern als ‚harmlos‘ eingestufte Aufnahmen können für die abgebildeten Personen rückblickend nicht nur peinlich oder herabwürdigend sein, sondern auch in die falschen Hände geraten. Eine umfangreiche  Recherche des Politik-Magazins Panorama und STRG_F aus dem Jahr 2021 zeigt, dass sich Pädosexuelle massenhaft an augenscheinlich unschuldigen Kinderfotos aus den sozialen Meiden bedienen, um diese dann auf Kinderpornografie-Foren hochzuladen. Häufig werden die Alltagsfotos obszön kommentiert, manchmal verlinken die Täter sogar die ursprünglichen Social-Media-Profile.

Hier rückt eine weitere Facette des Problems in den Fokus: Häufig werden nicht nur Bilder und Videoaufnahmen der Kinder mit einem Millionenpublikum geteilt, sondern die Familienblogger geben auch persönliche Daten von sich und ihren Kindern preis. In vielen Fällen kennen die Zuschauerinnen und Zuschauer sowohl Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Wohnort, Hobbies und manchmal sogar der Kindergarten oder die Schule der Kinder. Triebtäter oder andere Gewaltverbrecher können die Kinder so relativ unkompliziert ausfindig machen.

VERSTECKTE KINDERARBEIT ALS UNTERHALTUNG?

Grundsätzlich ist Kinderarbeit sowohl in Deutschland, Österreich als auch der Schweiz verboten. Hierzulande, gelten als ‚Kinder‘ all jene Personen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres oder bis zur späteren Beendigung der Schulpflicht. Allerdings gibt es bestimmte Einzelfälle, in denen die Beschäftigung von Kindern unter strengen Auflagen möglich ist. Hierzu zählen beispielweise Musikaufführungen, Theatervorstellungen und sonstigen Aufführungen sowie bei Foto-, Film-, Fernseh- und Tonaufnahmen. Kinder dürfen bei derartigen Aufführungen nur mitwirken, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt werden können: 

  • Die Gesundheit, sowie körperliche, geistige und sittliche Entwicklung des Kindes werden nicht gefährdet. 
  • Es treten für das Kind keine Nachteile bezüglich des Schulbesuches ein. 
  • Eine schriftliche Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, sowie eine medizinische Untersuchung des Kindes und eine positive Stellungnahme des Arbeitsinspektorates und der Arbeiterkammer liegen vor.

Des Weiteren dürfen „Kinderdarsteller“ nur zwischen acht und 23 Uhr und auch nicht vor dem Vormittagsunterricht beschäftig werden, sowohl An- als auch Abreise zur und vor der Arbeitsstätte dürfen ebenfalls nicht außerhalb dieses Zeitrahmens liegen. Nach dem Vormittagsunterricht muss dem Kind mindestens eine zweistündige, nach dem Nachtmittagsunterricht eine mindestens einstündige Pause gewährt werden. Während der schulfreien Zeit, dürfen Kinder höchstens, während einem Drittel der Zeit beschäftigt werden. Zudem darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Veranstalter einen einwandfreien Leumund aufweisen. 

Wenn allerdings die eigenen Eltern hinter der Kamera stehen, gibt es keinerlei Auflagen. Das ist genau die Problematik: Die Eltern sind nicht nur Erziehungsberechtige und Arbeitsgeber zugleich, sondern auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Während minderjährige Schauspieler und Schauspielerinnen in ein Fernsehstudio fahren, um eine fiktive Rolle einzunehmen, wird bei Familienbloggern im privaten Raum gefilmt. In vielen Fällen bedeutet das: in der Badewanne, auf dem Töpfchen oder beim Schlafen im Gitterbett. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass bei Familienbloggern augenscheinlich nicht nachvollzogen werden kann, wie lange und häufig die Kinder tatsächlich vor der Kamera stehen und wie viel Zeit das Filmen in Anspruch nimmt.

Medienpädagoge Roland Rosenstock spricht in diesem Zusammenhang von einer „hoch bezahlten Form von Kinderarbeit“ und „emotionalen Missbrauch“, da auf die Kinder ein gewisser Druck ausgeübt wird. Sie bekommen das Gefühl vermittelt, immer Leistung bringen zu müssen, um so im Netz genügend Aufmerksamkeit zu kreieren. Wie weit manche Familienblogger tatsächlich gehen, um Klicks zu generieren, zeigt das Beispiel der Bloggerin Jordan Cheyenne. Im September 2021 lud die YouTuberin ein Video mit dem Titel „We are heartbroken“ hoch, indem sie ihren aufgelösten Sohn filmte. Der Neunjährige hatte Minuten zuvor erfahren, dass sein Hund schwer erkrankt war und brach daraufhin in Tränen aus. Bevor sie das Video im Internet teilte, vergaß die Bloggerin anscheinend einige Szenen herauszuschneiden. So zeigte sich, dass die Mutter ihren Sohn mehrere Regieanweisungen gab: „Tu so, als würdest du weinen“ oder „Komm her, komm näher für das Video“, fordert sie ihr Kind auf. Offensichtlich aufgebracht entgegnet er ihr „Nein, Mama, ich weine wirklich“. Das reicht ihr allerdings nicht: „Nein, ich weiß, aber mach das so“, weist sie ihn an und zeigt ihm immer wieder alternative Posen vor. Dabei nimmt sie ihren Jungen nicht wahr, als dieser ihr immer wieder zu sagen versucht, dass er wirklich traurig ist. Über die langfristigen Auswirkungen, welche Familienblogging – vor allem in einem derartigen Ausmaß – auf die betroffenen Kinder haben kann, lässt sich nur spekulieren. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man sich hierbei lediglich auf die ‚gefallen‘ Kinderstars Hollywoods beziehen, die mit ihrem Ruhm nicht umgehen konnten und sich Folge dessen in Drogen, Alkohol oder Medikamente stürzten. 

EIN APPELL

Natürlich kann man Eltern nicht verbieten Fotos und Videos ihrer Kinder zu posten, sofern sie keine Richtlinien verletzen. Jedoch steht der Schutz der Kinder in unser aller Verantwortung. Infolgedessen sollte man folgende Leitlinien beachten, wenn man seine Kinder im Internet zeigen möchte:

  • Fragen Sie ihre Kinder immer um Erlaubnis.
  • Werden Sie von ihrem Kind darum gebeten, ein Foto oder Video aus dem Netz zu nehmen, kommen Sie der Bitte nach.
  • Schützen Sie die Privatsphäre ihres Kindes: Besonders wenn sie Beiträge mit einem größeren Publikum teilen wollen, sollten Sie darauf achten weder den vollständigen Namen, Wohnort, Schule, Kindergarten noch andere persönliche Details, wie etwa mentale und physische Probleme ihres Kindes, öffentlich zu machen. Beim Teilen von Aufnahmen mit einem größeren Publikum sollten Sie zudem in Erwägung ziehen, ihr Kind so zu fotografieren, dass das Gesicht nicht erkenntlich ist oder das Gesicht vor dem Posten zu zensieren. 
  • Versuchen Sie sich in die Lange ihres Kindes zu versetzen: Welche Fotos/Videos wären Ihnen peinlich? Würden Sie sich nackt oder auf der Toilette sitzend im Internet präsentieren? 
  • Filmen beziehungsweise fotografieren Sie ihr Kind nur, wenn es das auch möchte und das auch nur in ausgewählten Räumen: das Kinderzimmer sollte für das Kind ein Rückzugsort bleiben und nicht zum Drehort werden.
  • Ziehen Sie Alternativen in Erwägung: Teilen Sie ihre Fotos lieber in geschlossenen Gruppen, wie beispielsweise auf WhatsApp statt auf Facebook, Instagram und Co.

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