Frauen auf der Flucht – von der Krise in die Krise

Frauen kommt in Zeiten von Krisen eine wesentliche Rolle zu. Sie sind oft Ersthelfer und leisten entscheidende Hilfe und Versorgung, auf Fluchtrouten, in Camps, in ihren Heimat- ebenso wie in Zielländern. Auch machen sie etwa die Hälfte aller Personen auf der Flucht aus – und befinden sich dabei in großer Gefahr. 

VIELE GEFAHREN, KEIN SCHUTZ

Ein Camp für geflüchtete Personen bei Nacht.

In Zeiten von Krisen und bewaffneten Konflikten sind Frauen und Mädchen oft die Ersten, die ihr Recht auf Bildung, Lebensunterhalt und politische Teilhabe verlieren. Sie sind der Gefahr von Vergewaltigungen, Zwangs- oder sogenannten Schutz-Ehen und Verkauf in die Sklaverei ausgesetzt. Wenn sie systemischer Diskriminierung und Unterdrückung, Gewalt und gravierenden Mängel an Rechten und Schutz in ihren Heimatländern entkommen wollen, finden sie sich oftmals auf der Flucht in der gleichen prekären Lage wieder. Gewalthandlungen und Vergewaltigungen drohen durch bewaffnete Gruppen, Menschenhändler und sogar Grenzsicherheitskräften. Auch wenn sie die Konfliktzone verlassen, sehen sich Frauen und Mädchen in Camps Gefahren von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt ausgesetzt. Politiken und Leitlinien geben ihnen oft nicht die benötigte Priorität, lassen ihre Bedürfnisse außer Acht und geben ihnen keine Stimme. Dabei haben Frauen in Zeiten von Krisen eine wesentliche Rolle inne. Sie gehören zu den ersten die versorgen und helfen, ihre Gemeinschaften unterstützen und wiederaufbauen, auf Fluchtrouten ebenso wie in Camps, in ihren Heimat- und Zielländern.

DIE POLITIK – UND IHR VERSAGEN

Eine Gitter-Absperrung auf einem Landungssteg am Meer.

Die Bemühungen UN-Mitgliedstaaten, geschlechterspezifische Gewalt und Diskriminierung von Frauen zu unterbinden, gehen zurück bis Ende der 1970er Jahre. Die „Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen“ wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1979 angenommen und trat im September 1981 in Kraft. Gemäß dieser Konvention werden notwendige Schritte durch die unterzeichnenden Staaten unternommen, um Prostitution und Frauenhandel zu beseitigen. Frauen wird auch das Recht zugesprochen, nur mit ihrer freien und uneingeschränkten Zustimmung heiraten zu können, was Zwangsehen verhindern soll. Die Erklärung der UNO-Generalversammlung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen vom 20.12.1993 sieht vor, dass es als „dringend sicherzustellen gilt, dass die Rechte und Grundsätze in Bezug auf Gleichberechtigung, Sicherheit, Freiheit, Unversehrtheit und Würde aller Menschen allen Frauen zugute kommen”. Auch wenn diese Rechte schriftlich verankert sind, ist es offensichtlich, dass viele Länder diese Rechte von Frauen nicht wahren und schützen können. Die Situationen in Camps, in denen sich geflüchtete Frauen wiederfinden, sprechen eine eindeutige Sprache.

GRAUEN IN CAMPS

Eine Frau in einem Flüchtlingslager

Auch wenn geflüchtete Frauen den traumatisierenden Weg bis in ihr Zielland schaffen, um Asyl zu beantragen, bietet die Unterkunft in Camps für geflüchtete Personen und insbesondere Frauen wenig Schutz. Ein Bericht der UNHCR beschreibt Situationen, in denen sich geflüchtete Personen wiederfinden und insbesondere die Lage in Camps für geflüchtete Personen als eine, in der konventionelle Verhaltensnormen nicht länger eingehalten werden und Hemmschwellen sinken. Sexuelle und physische Gewalt, Missbrauch und Erpressungen werden von der örtlichen Polizei oder anderen Sicherheits- und Hilfskräften in den Camps oft ignoriert. Human Rights Watch berichtete von täglichen, blutigen Kämpfen in drei griechischen Camps für geflüchtete Personen, bei denen die Polizei nicht einschritt. Abgetrennte Bereiche für Frauen oder Familien gibt es in diesen Camps nicht, trotz polizeilicher Anordnungen, Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder zu garantieren. Das Missachten ihrer Pflichten ist dabei nicht alles, was manche Polizeikräfte sich zu Schulden kommen lassen. Hilfskräfte humanitärer Organisationen berichten von Drohungen, Gewalt und Misshandlungen seitens der Polizeikräfte – begangen an geflüchteten Personen ebenso wie an Hilfskräften. Berichte sexueller oder psychischer Gewalt von Polizei- oder Sicherheitskräften gegen nicht nur, aber sehr häufig, Frauen und Kinder häufen sich, wie in Kroatien, afrikanischen Ländern, der Türkei, Mexiko und Frankreich. Diese zeigen erschütternde Ausschnitte einer grausamen Realität, der schutzbedürftige und traumatisierte Frauen und Kinder ausgeliefert sind. 

KEINE GERECHTIGKEIT

Insbesondere dann, wenn Polizei und Sicherheitskräfte zu den Tätern zählen, ist es Opfern von Verbrechen wie sexueller Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigungen kaum möglich, Gerechtigkeit mittels der Justiz zu erlangen. Doch auch ohne diese zusätzlich erschwerte Situation ist der Zugang zu Rechtsmitteln extrem schwierig. In den Camps für geflüchtete Personen gibt es kein Personal, dass für rechtliche Beratung oder Unterstützung zuständig ist.  Außerdem gelten in Camps unterschiedliche Rechtsquellen, denn internationale Konventionen und Erklärungen sind rechtskräftig und binden, sobald sie vom jeweiligen Staat angenommen wurden. Sie haben vor dem heimischen Recht Vorrang, welches dennoch gleichzeitig Gültigkeit behält. Zusätzlich gelten in Camps UN-Regeln und -Richtlinien, sowie Regeln des jeweiligen Camps. Diese sind allerdings nicht rechtlich bindend. Diese Vielzahl an Rechtsquellen erschwert es, Gerechtigkeit im rechtlichen Sinne zu erlangen. Aber auch die rechtliche Lage mancher Zielländer ist ein zusätzliches Hindernis, wie beispielsweise in den USA. Dort sorgen politische Strategien dafür, dass der Zugang zu Rechtsmitteln für geflüchtete Personen erschwert wird. Projekte, wie das Projekt Daphne oder das Projekt 1800Respect, sind da ein Hoffnungsschimmer am Horizont, um geflüchteten Frauen zu helfen, an ihr Recht auf Schutz und Rechtsmittel zu gelangen.

Eine schwarz-weiß-Aufnahme eines heruntergekommenen Hauses.

Die Zahl geflüchteter Personen war Ende 2020 mit 82,4 Millionen so hoch wie nie – und dass, obwohl durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie etwa 1,5 Millionen Menschen weniger als erwartet auf der Flucht waren. Die Pandemie verschärfte prekäre Situationen überall auf der Welt, gleichzeitig bildet die Klimakatastrophe eine weitere Bedrohung. Bewaffnete Konflikte und soziale Unruhe schüren humanitäre Krisen. In Europa sind nach wie vor viele geflüchtete Personen in Lagern gestrandet. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zwang Menschen dazu, das Land zu verlassen – 80 % von ihnen Frauen und Kinder. In Belarus werden geflüchtete Personen als politisches Mittel missbraucht. Der Militärputsch in Myanmar löste Proteste und Unruhen aus, förderte bewaffnete Milizen und gewaltbereite Gruppierungen, verschärfte die prekäre wirtschaftliche Situation und scheint derzeit auf den Kollaps des Staates zuzusteuern. Die Liste lässt sich fortsetzen mit Fluchtwellen von Eritrea, drohender Hungersnot im Jemen, dem andauernden Krieg in Syrien. Die Krisensituationen überall auf der Welt nehmen zu. Um die existierenden und anstehenden Krisen zu bewältigen, ist es unabdingbar dafür zu sorgen, dass Frauen und Kinder auf ihrer Flucht vor Gewalt, Diskriminierung und Missbrauch nicht weitere Verbrechen und Traumatisierungen erfahren.