Der unermüdliche Kampf einer Ex-Prostituierten

Sandra Norak ist eine der wenigen Frauen, die es geschafft haben, aus der Prostitution auszusteigen. Sie schaffte nicht nur den Ausstieg, sondern holte auch ihr Abitur nach, studierte Jura und wurde zur Aktivistin. Heute erzählen wir von einer einzigartigen Frau mit einer leider nicht so einzigartigen Leidensgeschichte. Denn so wie es ihr erging, ergeht es so vielen Frauen tagtäglich. Genau das möchte die Deutsche ändern und kämpft seit Jahren für die Abschaffung der Prostitution – mit guten Argumenten.

PROSTITUTION ALS EIN VERLUST DER WÜRDE

Sechs Jahre lang war Sandra Norak im Rotlichtmilieu. Sie erlebte diese Zeit, in der sie innerhalb eines Monats etwa 400 bis 500 Freier hatte, als eine sehr traumatische. Ein Leben als Prostituierte sei ein Leben ohne Würde, sagt sie heute – so als hätte jeder Freier ein Stück von ihrer Seele gestohlen. Sie war oft auch gezwungen mitanzusehen, wie andere Frauen „die schlimmsten, unmenschlichsten Dinge durch die Sexkäufer“ über sich ergehen lassen mussten. Sie seien nur reglos dagelegen, weil sie sich selbst schon aufgegeben hätten. Norak selbst spürte die psychischen Auswirkungen ihrer „Arbeit“ stark. Befindet man sich einmal im Rotlichtmilieu ist der Ausstieg schwierig: Vom Entschluss der Prostitution den Rücken zu kehren, bis zum tatsächlichen Ausstieg, vergingen eineinhalb Jahre.

DER SCHNELLE WEG IN DIE PROSTITUTION

Sandra Norak beschloss der Öffentlichkeit ganz ehrlich und unverblümt zu erzählen, wie sie mit erst siebzehn Jahren in das Milieu abrutschte. Ihre Familienverhältnisse waren schwierig, sie hatte kaum Freunde und fand oft im Internet Ablenkung und Trost. Eines Tages lernte sie online einen Mann kennen, sie chatteten häufig und er gewann ihr Vertrauen. Nach kurzer Zeit war er bereits zu ihrer wichtigsten Bezugsperson geworden. Ihr „Loverboy“ hatte eine stattliche Körpergröße von 2 Metern und betrieb Kampfsport. Eigentlich sei er gar nicht ihr Typ gewesen, erzählt Norak – aber er versprach, für sie da zu sein und das konnte ihre Familie zu dieser Zeit leider nicht. Sie sah in dem 20 Jahre älteren Mann eine Art Rettungsanker.

Als sie ein Paar waren, überredete er sie irgendwann dazu, gemeinsam ein Bordell zu besuchen. Später meinte er, dass es doch eine gute Geldquelle sei, wenn sie selbst anschaffen ginge. Es wäre ihm damit sehr geholfen, denn er hätte hohe Schulden, redete er ihr ein. So führte eines zum anderen. Norak bekam von ihrem vermeintlichen Freund, der zu ihrem Zuhälter geworden war, sogar eine große Tätowierung auf den Rücken. Solche „Markierungen“ dienen als Symbol für andere Zuhälter und erinnern stark an die Brandmarken von Sklaven.

PSYCHISCHE KRANKHEIT WAR GLÜCKSFALL

In einem Interview der SWR Landesschau erzählt Norak von ihrem Ausstieg und meint, es war ihr „Glück“, dass sie damals nach etwa fünf Jahren einfach nicht mehr konnte. Es ging ihr sowohl körperlich als auch psychisch so schlecht, dass sie nur mehr im Bett lag und kaum mehr in der Lage war, Freier zu empfangen. Außerdem litt sie unter regelmäßigen Panikattacken. Sie wurde für ihren Zuhälter nach und nach unbrauchbar, da sie keine gute Einkommensquelle mehr darstellte. Ihr Hund, den Norak aus einem Tierheim hatte, gab ihr in dieser Zeit der Veränderung viel Beistand und Kraft. Die junge Frau schaffte es, ihr Abitur nachzuholen, während sie als Tierpflegerin Geld verdiente. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Rechtswissenschaften.

DAS GESCHÄFT MIT DEM LEID DER FRAUEN

„Den Freiern ist es egal, wenn du Schmerzen hast“, nach einer kurzen Pause fügt Norak hinzu: „Nein, die meisten geilt es sogar noch mehr auf“. Die Frauen, die sie im Bordell kennenlernte, seien wie leer gewesen, als hätten sie keine Seele mehr gehabt. Das passiere, wenn man jeden Tag seine Gefühle unterdrücken muss, keinen Ekel oder Widerstand zeigen darf, erklärt sich Norak diesen hoffnungslosen Zustand. Prostitution sei das Sinnbild einer kranken Gesellschaft, einer, die das psychische Leid von Frauen ausnutzt, um sie gefügig zu machen. Sie begründet diesen Standpunkt folgendermaßen: Viele Frauen, die in der Prostitution arbeiten, hätten als Kind Gewalt erfahren und dadurch gewisse Schutzmechanismen aufgebaut. Diese Traumata aus der Kindheit ließen sie den Job aushalten, da sie Schmerz und Brutalität gewohnt sind.

Der Psychiater Lutz Besser vom Zentrum für Psychotraumatologie Niedersachsen bestätigt dies und ist schockiert über die Selbstverständlichkeit, mit der in unserer Gesellschaft Prostitution geduldet, ja sogar begrüßt wird. Ihm fehlt die ethische Diskussion rund um den Sexkauf und er bezeichnet ihn als „organisierte und legitimierte Form von Erniedrigung, Demütigung, körperlicher und seelischer Verletzung von Frauen.“

PROSTITUIERTE ERLEBEN TRAUMA

Eine Schweizer Studie bestätigt ebenso die negativen Auswirkungen der Prostitution auf die Psyche. Mediziner befragten etwa 200 Sexarbeiterinnen im Alter von 18 bis 63 Jahren. Um die Studie so repräsentativ wie möglich zu gestalten, befragten sie Frauen unterschiedlicher Nationalitäten und welche die in Bars, Bordellen, Studios, oder am Straßenstrich arbeiteten. Es stellte sich heraus, dass Prostituierte wesentlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als Frauen in anderen Berufen. Unter prostituierten Frauen ist jede zweite krank, von Frauen in anderen Berufen sind es lediglich 12 Prozent. Häufige Leiden sind Angststörungen und Depressionen. Besondere Risikofaktoren für diese Krankheitsbilder sind Gewalterfahrungen. Viele der befragten Frauen erfuhren schon in der Kindheit Gewalt.

Weitere Untersuchungen haben auch bestätigt, dass der Alltag in der Prostitution für die meisten Frauen traumatisch ist. 68 % der Frauen in der Prostitution leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund ihrer Tätigkeit, vergleichbar mit der Belastung von Kriegsveteranen oder Folteropfern.

WOFÜR SANDRA NORAK KÄMPFT

Norak kritisiert, dass Prostitution durch alltägliche Sprache normalisiert wird. Aussagen wie: „Es ist ein Job wie jeder andere“ oder es sei das „älteste Gewerbe der Welt“ machen sie genauso wütend wie Vereine, die sich angeblich für bessere Arbeitsbedingungen in der Prostitution einsetzen. Wer ist denn wirklich in der Lage zu prüfen, was hinter der verschlossenen Schlafzimmertür passiert und wie sich die betroffene Frau fühlt? Obwohl sie nicht behauptet, dass es keine Frauen gibt, die gerne mit Sex Geld verdienen und die Sexarbeit freiwillig machen, kämpft sie für die breite Masse, die dazu ins Land eingeschleppt oder im Internet rekrutiert und ausgebeutet wird. Sie ist der Ansicht, dass die wenigen, die es freiwillig machen nicht das Elend der Mehrheit aufwiegen.

EINE WELT OHNE PROSTITUTION

Norak findet klare Worte: Prostitution muss verboten werden. Als Vorbild nennt sie Schweden, wo Sexkauf schon seit 1998 illegal ist. Auch wenn Prostitution in Schweden seitdem nicht vollkommen verschwunden ist, gilt das nordische Modell als das erfolgreichste zur Eindämmung des Milliardengeschäfts. Die Bestrafung der Freier hat die Nachfrage nach Prostitution drastisch verringert. Ein mitgehörtes Telefonat zwischen einem rumänischen Menschenhändler und einem schwedischen Zuhälter zeugt davon. Man hört den Zuhälter klagen, der schwedische Markt sei tot.

Als Aktivistin hält Norak Vorträge an Schulen, ist beratend in der Politik tätig und gibt Interviews – alles, um die Menschen über die Realität in der Prostitution aufzuklären und Veränderung zu bewirken. Auf ihrer Webseite kann man mehr über sie erfahren und ihre aktuellen Projekte verfolgen. Ihr Kampf ist noch längst nicht gewonnen, aber sie wird wohl erst ruhen, wenn sie weiß, dass Mädchen und Frauen vor ihrem Schicksal bewahrt werden.