Das unsaubere Geschäft mit dem Spargel – Systematische Ausbeutung von Erntehelfern in Europa

Hurra, die Spargelzeit ist da! Slogans dieser Art sind derzeit allgegenwärtig. Doch des einen kulinarische Freud’ ist der anderen großes Leid. Denn über die miserablen Bedingungen der zahlreichen Erntehelfer, die von systematischer Ausbeutung betroffen sind, wird gerne geschwiegen. Unter welchen Bedingungen müssen Erntehelfer arbeiten und wie sieht die Situation in Österreich aus? 

Jedes Jahr im April beginnt die Spargelernte. Sie markiert den Beginn des Martyriums hunderttausender Erntehelfer, die sich von Polen, Rumänien, Moldau, Bosnien oder Bulgarien auf den Weg nach Österreich und Deutschland machen. Nicht alle von ihnen kommen freiwillig. Berichtet wird von Menschenhandel, sklavenähnlichen Zuständen und systematischer Ausbeutung

Demgegenüber stehen die Angaben der heimischen Behörden. Die Österreichische Landwirtschaftskammer berichtet von 13.800 saisonalen Arbeitskräften und Erntehelfern, die jährlich aus dem Ausland nach Österreich kommen.

Bis zu 20 Kilogramm Spargel pro Stunde sollte ein Erntehelfer stechen, und zwar in Handarbeit. Laut Kollektivvertrag ist dafür ein Lohn von 8,66 Euro brutto pro Stunde, das sind 7,07 netto vorgesehen. Der Mindestlohn beträgt 1224,21 Euro netto und muss monatlich ausbezahlt werden. 

Missstände werden nur punktuell öffentlich. Die bekannt gewordenen Fälle reichen von einem Stundenlohn in der Höhe von 2,50 Euro, fehlenden Überstundenzuschlägen und mehr als 100 Wochenstunden harter Arbeit und Massenquartieren. Besonders tragisch sind jene Fälle, wo Erntearbeitskräfte zu Tode gekommen sind.

DER FALL PIETRU B

Die grausamen Details kommen etwa dann ans Tageslicht, wenn Erntearbeiter unter der Arbeitslast zusammenbrechen. Einer von ihnen ist Pietru B. Der rumänische Erntehelfer kollabierte im Jahr 2014 auf einer Wiese in Deutschland und starb an multiplem Organversagen, ausgelöst durch körperliche Überanstrengung bei übermäßiger Hitzeeinwirkung. Er hatte bei konstanten 31 Grad etwa 900 Heuballen auf einen Anhänger gestapelt – für 6 Euro die Stunde. Der Vorwurf an den Landwirt: Er habe nicht ausreichend Flüssigkeit bereitgestellt und keine Pausen gewährt. Der Prozessbeginn gegen den Arbeitgeber schleppte sich bis 2018 und der Prozess endete unrühmlich: Das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde gegen eine Zahlung von 6.000 Euro an die Witwe aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der Landwirt entging auf dieser Art einer Vorstrafe. Während die Medien den Fall als Einzelfall abtun, wissen Insider: Fälle wie dieser sind leider keine Seltenheit, sondern offenbaren das dahinterliegende System, das von Ausbeutung gekennzeichnet ist.

DER MARCHFELDER SPARGELSKANDAL – AUSBEUTUNG „MADE IN AUSTRIA“

Wer nach Missständen bei der Erntearbeit sucht, wird auch hierzulande schnell fündig. Hohe Wellen geschlagen hat der „Marchfelder Spargelskandal“ im Jahr 2020 in Niederösterreich. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Betrieb, der seinen Spargel unter der geschützten Marke „Marchfeld Spargel“ vertreibt, in einen handfesten Skandal verwickelt ist. Denn diese Spargelbauern werden nicht müde zu betonen, dass sie streng nach den Richtlinien der integrierten Produktion und nach Bio-Anbaukriterien arbeiten. 

Entsprechend groß waren das mediale Interesse und die Empörung, als bekannt wurde, dass ein Spargelbetrieb in Mannsdorf an der Donau für die systematische Ausbeutung von Erntearbeitern verantwortlich ist. ArbeiterInnen mussten dort für vier Euro die Stunde bis zu 15 Stunden täglich im Akkord arbeiten und wurden in menschenunwürdigen, unhygienischen Massenquartieren untergebracht. Der Betrieb wurde schlussendlich kurzzeitig behördlich geschlossen.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass „Made in Austria“ als Qualitätsmerkmal nicht ausreichend ist und keinesfalls als Garant für faire Arbeitsbedingungen misszuverstehen ist. In der Tat ist es für Konsumenten nahezu unmöglich, Rückschlüsse auf die Produktionsbedingungen zu ziehen. Ein „Fair Trade“ Siegel, das sich auf die Einhaltung bestimmter Grundrechte für ArbeiterInnen und Bauern bezieht, gibt es bei Spargel nicht. Zwar herrschen in Österreich grundsätzlich hohe Arbeits- und Sozialstandards, doch solange diese nicht entsprechend streng kontrolliert werden, gibt es keine ausreichende Sicherheit für KonsumentInnen.

DIE KAMPAGNE SEZIONIERI – AKTIVISTEN IM EINSATZ FÜR FAIRE ARBEITSBEDINGUNGEN

Nachhaltige Versuche, die Situation für FeldarbeiterInnen zu verbessern, scheiterten bislang. In Brüssel zeigte man sich bemüht den Gesetzesbrüchen in europäischen Agrarbetrieben einen Riegel vorzuschieben und Voraussetzungen für faire Arbeitsbedingungen zu schaffen: Im Zuge seiner EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2021 hatte Portugal vorgeschlagen, EU-Fördergelder an faire Arbeitsbedingungen für Erntehelferinnen und Erntehelfer zu knüpfen. Zwölf Länder stellten sich quer, eines davon war Österreich.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Lebensmittel in Zukunft nicht nur stark auf Ihre Qualität hin geprüft werden, sondern auch auf die Bedingungen, unter denen sie produziert werden. 

Denn an effektiven, ausreichenden und einheitlichen Kontrollen und an Transparenz mangelt es.

Die neun Land- und Forstwirtschaftsinspektionen der Länder führen nur wenige Kontrollen durch. In Niederösterreich hat diese Inspektion im Jahr 2019 einem Bericht zufolge keinen einzigen Mangel bei Lohn oder Urlaub ergeben – das erscheint mehr als unglaubwürdig. Gleichzeitig ist bekannt, dass die Finanzpolizei in den letzten fünf Jahren 2.414 Landwirtschaftsbetriebe kontrolliert hat und 677 Strafanträge gestellt hat – das ist fast jeder dritte Betrieb, der kontrolliert wurde.

Auch der unermüdliche Einsatz von Sezionieri, einer Kampagne, die von Aktivisten der Produktionsgewerkschaft PRO-GE ins Leben gerufen wurde, gibt Hoffnung. Aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt heißt das „Saisonarbeiter“.

Jeden Frühling und bis zum Johannistag am 24. Juni, dem offiziellen Ende der „Spargelzeit“ ziehen Sie von Feld zu Feld, um Ihre Flugblätter zu verteilen und sich ein Bild von der Situation vor Ort zu verschaffen. Die Aktivisten haben es sich zum Ziel gemacht, die Entwicklung der Arbeitsmigration im Bereich der Feldarbeit zu beobachten, Arbeiter konkret über Ihre Rechte aufzuklären und diese vor ihren Arbeitgebern durchzusetzen. Gleichzeitig ist es Ihnen ein Anliegen den Landwirten klar zu machen, dass die Nichteinhaltung eines Kollektivvertrags ein Gesetzesbruch ist. Denn widrige Arbeitsbedingungen sind keinesfalls der Einzelfall, als der sie gerne dargestellt werden.