Das Stigma „Nutte“

Die Stigmatisierung von Prostituierten ist so alt wie das Gewerbe selbst. Man braucht darüber nicht groß nachzudenken und sie wertet einen selbst ein bisschen auf. Aber was steckt wirklich dahinter?  

Die sind anders!

Seit jeher ruft das horizontale Gewerbe ausgeprägte Reaktionen hervor. Da Prostituierte oft bereits durch ihr Äußeres als solche identifizierbar sind, um sich entsprechend verkaufen zu können, sind sie nicht nur für etwaige Kunden erkennbar. Das Rotlichtmilieu ist für viele eine verruchte, dunkle Randzone, über die man nicht spricht, denn über Sex sprechen manche immer noch erstaunlich wenig. Bestimmt ist es dort auch schmutzig, muss ja, Sex mit Fremden, viele Körpersäfte und die ganzen Krankheiten. Welche Frau lässt das mit sich machen?

Wie kommt es zur Stereotypisierung und Stigma-Zuschreibung?

Vorweg – das Bewerten an sich ist ein natürlicher Vorgang. Alles, was wir wahrnehmen, wird bewertet, so können wir Situationen einschätzen und etwaige Gefahren erkennen.
Stereotype stehen für die „Bilder in unseren Köpfen“, für „einen starren Eindruck, der nur in geringem Ausmaß mit der Realität übereinstimmt, sondern vor allem dadurch zustande kommt, dass wir zuerst urteilen und dann erst hinschauen“.
Die Einteilung in Stereotype geschieht teils unbewusst, teils angelernt und hängt vom kulturellen Kontext ab. Bei den Begriffen Oma, Lehrer, Krankenschwester hat man ebenso schnell typische Eigenschaften vor Augen wie bei Prostituierten. Nur dass letztere meist negativ stigmatisiert werden, was zu gesellschaftlicher Ablehnung und sozialer Isolation führen kann. Bei einer Stigmatisierung werden bestimmte zugeschriebene Merkmale bewertet – beispielsweise schmutzig, willig, macht alles für Geld – und die Betroffenen im Folgenden hauptsächlich darüber identifiziert. Diese verinnerlichen möglicherweise die Zuschreibungen und versuchen ihre Tätigkeit aus Scham und Angst vor Konsequenzen geheim zu halten. Die stigmatisierende Person hingegen kann sich durch diese Zuschreibungen besser vom empfundenen Negativen ins Gute abgrenzen. Diese Umstände machen ein Outing bzw. einen offenen Umgang als Prostituierte gesellschaftlich schwierig bis unmöglich.

Aussteigerinnen haben viele Hürden zu meistern

Prostituierte gehen meist nicht ihr ganzes Leben dieser Tätigkeit nach. Doch der Ausstieg kann sich als schwierig erweisen, er gleicht einem Wechsel zwischen zwei Welten – vom Rotlichtmilieu in die bürgerliche Welt. Ungefähr jede 10. Frau braucht dabei professionelle Unterstützung. Je nach gesundheitlicher, psychischer oder finanzieller Situation sind allerdings unterschiedliche Angebote nötig. Bei einem Ausstieg fällt nicht nur das Einkommen weg, oft auch die Wohnmöglichkeit und Sozialkontakte.

Einige Hilfesuchende spüren diesen Paradigmenwechsel bereits bei ersten Kontakten mit Behördenvertretern. Sie berichten von Unverständnis, von Rechtfertigungen oder einer spürbaren Ablehnung. Aber auch im Alltag können Stigmatisierungen problematisch werden. Frauen haben Angst, dass ihre Familie, ihre Kinder damit konfrontiert werden könnten, Angst vor dem Verlust des Sorgerechts oder des neuen Arbeitsplatzes und vor sozialer Ausgrenzung. Was, wenn mich jemand erkennt und outet? Auch sich nicht offen mitteilen zu können innerhalb der Familie oder im Freundeskreis kann eine starke psychische Belastung darstellen.

Härtefall Zwangsouting

2020 hat der aus diversen Medien bekannte Oliver Pocher zwei Frauen öffentlich bloßgestellt: Er hat eine Influencerin und deren Freundin hinsichtlich ihrer Vergangenheit als Prostituierte und Pornodarstellerin geoutet, sie dabei verspottet und gemobbt. Seine Fangemeinde beteiligte sich nicht nur verbal mit Bedrohungen und Beleidigungen daran, sondern hat auch das Auto einer der Frauen vandalisiert. Die Aktivistin und ehemalige Prostituierte Huschke Mau reagierte mit einem Facebook-Beitrag und wurde daraufhin selbst von Pocher-Fans beleidigt, beschimpft und mit Vergewaltigung bedroht.

Diese moderne Hexenjagd im Unterhaltungs- und Mitmachformat mag natürlich ein Sonderfall sein, sie zeigt jedoch auch, wozu Menschen fähig sind. Und dass Ängste bezüglich eines Outings nicht völlig unbegründet sind.

Schutz und Ordnung durch den „Hurenpass“

Das deutsche Prostitutionsschutzgesetz hat mit der Einführung eines neuen Ausweisdokumentes, des „Hurenpasses“, für kontroverse Stimmungen gesorgt. Seit 2017 sind Prostituierte verpflichtet, sich anzumelden und diesen zusätzlichen Ausweis (mit Foto) mit sich zu führen. Künstlernamen sind erlaubt, wenn dieser Ausweis allerdings zusammen mit dem Personalausweis in falsche Hände gerät, ist die Angst vor Konsequenzen groß.
Unter dieses Gesetz fallen zusätzlich eine verpflichtende jährliche Gesundheitsberatung (für unter 21-jährige 2x jährlich), die in manchen Bundesländern allerdings kostenpflichtig ist. Dazu kommen eventuelle Gebühren für Dolmetscher.

„Andere Leute haben keinen extra Ausweis, in dem steht, wer sie sind und in welcher Branche sie arbeiten. Der Ausweis ist für mich ein Sinnbild für die Stigmatisierung der Sexarbeit und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft.“
Josefa Nereus, Sexarbeiterin und Pressesprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen.

Was muss sich ändern?

Für ein Ende der Stigmatisierung ist es irrelevant, ob emanzipierte Sexarbeiterinnen einen stolzen und offenen Umgang mit ihrem Beruf pflegen, ob traumatisierte Opfer ihre Körper aus bloßer Angst vor der Armut verkaufen oder ob sie gar zur Prostitution gezwungen werden – um in Stereotyp-Sprache zu bleiben.
Fraglich ist vielmehr, ob die Gesellschaft es lernen kann, also wir alle, mit Randgruppen und Fremden respektvoller umzugehen. Unser Bewertungssystem mag zwar automatisch ablaufen, aber ob es Gefahr ruft, ob es eine Diskriminierung und Stigmatisierung nach sich zieht, haben wir selbst in der Hand.

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