Egal ob auf Streaming-Plattformen oder im Fernsehen: Kriminal-Serien und Psychothriller sind Publikumslieblinge. Hier ist es so, dass die nächste Folge die vorherige toppen muss, da Zuschauer*innen nicht den Biss verlieren sollen. Das heißt: mehr Morde, mehr Leichen, mehr Drama, mehr Gewalt – das Publikum stumpft mit jeder Folge, mit jedem Film immer mehr ab.
3…2…1…Nächste Folge
Durch die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung verlagern sich unsere Freizeitaktivitäten immer mehr auf Bildschirme. Soziale Medien, TV oder Streaming-Plattformen gehören zum Alltag – man scrollt in Öffis oder stellt eine Serie oder einen Film an, um nach einem stressigen Tag zu entspannen. Laut Statista verbringen Österreicher*innen rund 52 Minuten pro Tag mit dem Konsum von Online-Videos – bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind es sogar knapp zwei Stunden täglich. In den Top fünf der meistgenutzten Videoportale befindet sich YouTube auf Platz eins gefolgt von Netflix, Amazon Prime Video, Disney+ und Plattformen, die Adult Content anbieten. Unter den zehn beliebtesten und meistgestreamten Filmen auf Netflix befinden sich Action-Thriller, Horror-Thriller, Action-Filme, Dramen und Komödien – jeder einzelne beinhaltet Kampfszenen, Gewehre und Mord.
In der Abteilung der Serien sieht es ähnlich aus – Platz eins geht hier an Squid Game. Dies spiegelt sich auch, wenn der Fokus von globalen Serien und Filmen auf österreichische gerichtet wird. Beispiele hier sind die SOKO-Reihe, Vorstadtweiber oder Freud. In fast allen Genres findet man Szenen, die körperliche, psychische, sexualisierte oder sexuelle Gewalt beinhalten – auch bei Liebesfilmen oder Komödien. Je mehr das Konsumverhalten nach Serien und Filmen steigt, desto höher ist auch die Abstumpfung von Gewaltszenen und sie erscheinen immer alltäglicher. Dies zeigt sich vor allem bei sexueller und sexualisierter Gewalt, da sich hier das Phänomen des Victim-Blaming besonders entfaltet.
Sexuelle vs. sexualisierte Gewalt
Es gibt auch immer wieder Szenen in Serien und Filmen die sexualisierte und sexuelle Gewalt darstellen. Doch wie unterscheiden sich diese zwei Gewalttypen? Unter sexueller Gewalt sind Handlungen und Aktivitäten zu verstehen, die ausgetragen werden, um die sexuellen Begierden des*der Täter*in gegen den Willen Dritter durchsetzen zu können. Das Motiv sind die sexuellen Interessen, die auf eine (nicht immer offenkundige) gewalttätige Weise durchgesetzt werden. Hierbei ist das extremste Beispiel die Vergewaltigung. Bei sexualisierter Gewalt stehen die nichtsexuelle Interessen (wie etwa Machtinteressen), die durch sexuellen oder sexualbezogenen Handlungen durchgesetzt werden sollen, im Mittelpunkt.
Auch bei dieser Art schließt man den einheitlichen Konsens aus. Hier kann es um unterschiedliche Motive gehen und die sexuellen Handlungen werden funktionalisiert – das heißt, die Handlungen stellen den Mittel zum Zweck dar, die Gewalt bedient sich sexueller Mittel. Ein verbreitetes Beispiel hierfür ist die häusliche Gewalt, indem ein*e Partner*in (sexuelle) Gewalt ausführt, um den*die andere*n Partner*in zu degradieren.
Was versteht man unter „Desensibilisierung von Gewalt“?
Psychologin Prof. Dr. Barbara Krahé beschreibt Desensibilisierung als Prozess indem sich der Körper an Reize gewöhnt, die zunächst starke emotionale Reaktionen auslösen. In Bezug auf Gewalt löst die Konfrontation mit ihr die ursprüngliche Reaktion von Angst aus, verbunden mit dem Bedürfnis, der angstauslösenden Situation zu entgehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich der Organismus, unser Körper, in „Alarmbereitschaft“ versetzt und somit Energie für die Flucht aus Gefahrensituationen erzeugt. Je häufiger man sich jedoch Gewaltdarstellungen in Medien aussetzt, desto schwächer wird diese Angstreaktion und desto besser kann man Gewalt „ertragen“ – man stumpft also gegen diese Szenen ab und ist weniger schockiert, wenn man sie sieht und findet eventuell auch Gefallen daran.
Auf emotionaler Ebene führt der Konsum von Gewaltdarstellungen zu weniger Mitleid mit den Opfern von Gewalttaten und die Bewertung der Opfererfahrungen wird als weniger gravierend eingestuft. Diese Bewertung wurzelt darin, dass je öfter eine Person von Darstellungen von körperlicher, sexueller und sexualisierter Gewalt ausgesetzt ist, desto „normaler“ und alltäglicher erscheinen diese. Beispiele fokussierend auf sexueller und sexualisierter Gewalt sind sexuelle Anspielungen, aufdringliche Blicke, Nachrichten mit sexuellem Inhalt oder Bildern, sexualisierte Berührungen und Vergewaltigung. Desensibilisierung zeigt sich in diesen Momenten, dass diese Handlungen als Flirten bezeichnet werden, das der*die Empfänger*in lockerer darauf reagieren soll oder es endet sogar im Victim-Blaming. Unter Victim-Blaming versteht man, dass die Schuld und damit die Verantwortung der Tat von dem*der Täter*in auf den*die Betroffene*n abgewälzt wird.
Zusammenfassend definiert sich Desensibilisierung als einen Prozess der Abstumpfung gegenüber emotional erregenden Reizen, der sich auf der Ebene der körperlichen Erregtheit, der erlebten Emotionen sowie der gedanklichen Bewertung zeigt.
Von Gewalt betroffene Personen wenden sich bitte an die Frauenhelpline unter 0800 222 555 oder an das Gewaltschutzzentrum unter 0800 700 217.
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