24-Stunden-Pflege rund um die Uhr: oder ein System, das Ausbeutung einfach macht

Eigentlich eine schöne Vorstellung, bis an sein Lebensende zu Hause gepflegt und 1:1 betreut zu werden. 24-Stunden-Betreuer*innen aus dem Ausland machen dies möglich – doch im Alltag sind sie mit vielerlei Herausforderungen konfrontiert. Amnesty International fordert beispielsweise in der Publikation „Wir wollen nur ein paar Rechte“ die österreichischen Entscheidungsträger*innen auf, den Mindestlohn und den Arbeitszeithöchstgrenzen auf alle 24-Stunden-Betreuer*innen auszuweiten, Kontrollen zu verstärken und Beratungsangebote und Unterstützung bei Diskriminierung und Missbrauch am Arbeitsplatz sicherzustellen. 

Der Mangel im Pflegebereich ist nicht erst seit der Pandemie spürbar

In Österreich mangelt es im Bereich der Pflege an Fachkräften: Die Menschen werden älter, das Interesse einen Pflegeberuf auszuüben sinkt und der Bedarf an Langzeitpflege steigt. 24-Stunden-Betreuer*innen sind gefragter denn je. Nicht zuletzt, da die Plätze in den Alten- und Pflegeheimen heiß begehrt und oftmals mit Wartezeiten verbunden sind. Die Nachfrage ist definitiv höher als die Anzahl der zur Verfügung stehenden Pfleger*innen oder Pflegeplätzen.

Alternativ dazu, wurde 2007 die 24-Stunden-Betreuung legalisiert. 24-Stunden Einzelbetreuung, zu Hause im gewohnten Umfeld. Geboten wird Unterstützung im alltäglichen Leben, die Führung des Haushaltes und die Versorgung der Klienten rund um die Uhr. Die Definition der Aufgabenbereiche nach der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist hier nachzulesen. Kochen, putzen, versorgen, waschen – fast 24 Stunden pro Tag (abzüglich der vereinbarten Pausen). Sieben Tage die Woche. Einige Wochen am Stück. Ohne freie Wochenenden oder Zeitausgleich, bevor es dann wieder für einige Wochen zurück in die Heimat geht. Die Angehörigen können die Aufgaben der 24-Stunden-Betreuer*in nicht übernehmen. Sie gehen arbeiten. Vollzeit. 40 Stunden pro Woche. 

Ein System, das Ausbeutung einfach macht

In Österreich arbeiten rund 60.000 24-Stunden-Betreuer*innen. Mehr als 92 Prozent sind weiblich und über 98 Prozent Migranten*innen. Viele stammen aus Mittel- und Osteuropa, die meisten aus Rumänien und der Slowakei. Aus dem Report von Amnesty International ist zu entnehmen, dass der durchschnittliche Stundenlohn im Jahr 2021 rund 9 Euro betrug – im Vergleich: 14 Euro pro Stunde erhielten Krankenhausangestellte in ähnlichen Tätigkeitsbereichen im Durchschnitt. Einer anderen Quelle zufolge hieß es 2021, dass der Tageslohn je nach Agentur zwischen 25 und 55 Euro lag. Das bedeutet einen Stundenlohn von zwei bis drei Euro.

Dabei leisten 24-Stunden-Betreuer*innen so einiges: Sie sind Hausangestellte – leben bei voller Verpflegung im Haushalt ihrer Klientinnen und Klienten und kümmern sich um sie. Wohl kaum ein österreichischer Staatsbürger würde zu diesen Konditionen für den genannten Stundenlohn arbeiten. Doch was bewegt 24-Stunden-Betreuer*innen für diese Arbeit nach Österreich zu kommen?

Mehr Geld, um zu überleben

Wie sieht „freiwillige Arbeit“ eigentlich aus, wenn die Armut im Heimatland jemanden dazu zwingt, anderswo mehr Geld zu verdienen. Um Überleben zu können. Demnach kommen 24-Stunden-Betreuer*innen zum Arbeiten nach Österreich – finanzielle Notlagen und Armut durch fehlende Jobangebote im Heimatland. Der bessere Verdienst in Österreich ist verlockend – koste es was es wolle. Dass es die äußeren Faktoren sind, die die Menschen dazu motivieren, als 24-Stunden-Betreuer*in fern von zu Hause zu arbeiten schildert auch die rumänische Betreuerin Nadia im März 2021 in einem Interview im Report von Amnesty International:

„Ich arbeite schon seit sechs Jahren in Österreich. Ich möchte meiner Familie zu Hause helfen. Ich habe eine Tochter. Sie hat einen dreijährigen Buben. Mein Enkel lebt mit einer Behinderung. Ich helfe meiner Tochter und meinem Enkel, weil mein Enkel wird früher oder später eine Operation brauchen. Mein Schwiegersohn ist seit fünf Monaten arbeitslos. Zu viert haben sie 400 Euro pro Monat zum Überleben. Meine Familie in Rumänien ist abhängig von mir und meiner Arbeit in Österreich. Es ist schwierig für mich, von meiner Familie einen Monat lang getrennt zu sein, aber es ist die einzige Möglichkeit, damit wir alle genug Geld haben. [Ich arbeite] einen Monat [lang] in Österreich, um Geld für die Familie zu verdienen. Einen Monat [bin ich] in Rumänien [und] helfe meiner Tochter und ihrer Familie.“

Agenturen sorgen nicht immer für gerechte Arbeitsbedingungen

Im September 2022 waren in Österreich 917 Agenturen registriert, die 24-Stunden-Betreuerinnen vermitteln. Generell leiden diese Agenturen unter einem schlechten Ruf, auch wenn sie Qualitätssiegel tragen*. Rund die Hälfte der Agenturen seien in Ordnung, die andere Hälfte als fragwürdig einzustufen*. Die Agenturen beschäftigen meist selbstständigen 24-Stunden-Betreuer*innen, die in zwei- bis vierwöchigen Turnussen mit ihren Klienten im gemeinsamen Haushalt leben. Die Betreuer*innen sind angemeldet und sozialversichert. Den Lohn und die genauen, angebotenen Leistungen entscheiden die Agenturen*. 

Agenturen, die auf gerechte Rahmenbedingungen und Löhne achten, haben sich nichts vorzuwerfen. Wenn das Zusammenleben in dem System funktioniert, profitieren die zu Pflegenden, ihre Angehörigen sowie die Betreuer*innen davon. Allerdings birgt das Zusammenleben unter einem Dach auch Konfliktpotential. Stimmt die Chemie nicht, kommt es häufig zu Enttäuschungen. In manchen Bereichen dominieren Überforderung und Überarbeitung. Wenige bis keine Ruhezeiten, sprachliche Barrieren, Ablehnung der Klienten und soziale Isolation sind keine Seltenheit. Keine rosigen Aussichten. So manche Betreuungsperson fühlt sich ausgenutzt und ist teilweise von der vielen Arbeit erschöpft und körperlich angeschlagen – kein Wunder, für diese Arbeitsbedingungen würden wohl wenige 24-Stunden-Betreuer*innen nach Österreich kommen, wenn sie in ihrem Heimatland einen Job in derselben Gehaltsklasse ausüben könnten. 

Viele der 24-Stunden-Betreuer*innen kommen aus Osteuropa über Hintermänner nach Österreich – meist haben sie keine oder mangelhaften Deutschkenntnissen. Die Betreuer*innen sind offiziell selbstständig bei der Behörde und Wirtschaftskammer gemeldet. Die Anmeldung übernehmen – aufgrund der Sprachbarrieren – oftmals die Vermittler oder der jeweilige Haushalt. Diese Barrieren und die Abhängigkeit der Betreuer*innen nutzen manche Arbeitgeber aus. Pässe werden nicht mehr zurückgegeben, um die Pfleger*innen an der Heimreise zu hindern. 

Forderung nach fairer Behandlung und strenge Strafen für jene, die gegen Arbeitsgesetze verstoßen

Die Forderungen nach dem Anspruch auf ein Mindesteinkommen nach Kollektivvertrag, geregelte Arbeitszeiten, Arbeitszeithöchstgrenzen für 24-Stunden-Betreuer*innen, Urlaubsanspruch, Absicherung durch eine Sozialversicherung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitslosenversicherung und verstärkte Kontrollen werden immer lauter. Zudem wird gefordert, Beratungsangebote und Unterstützung bei Diskriminierung und Missbrauch am Arbeitsplatz sicherzustellen.

Das Thema der Ausbeutung von Betreuer*innen aus dem Ausland darf nicht ignoriert werden. Auch wenn es in vielen Fällen harmonisch zusammengelebt wird und der Alltag aus Geben und Nehmen besteht, so gibt es doch zahlreiche Meldungen, in denen dies nicht der Fall ist. Den Betreuer*innen gebührt eine faire Behandlung und Entlohnung. So können sie ihren Beruf ausüben, ohne dabei ausgebeutet zu werden.  Zugleich sollen jene Arbeitgeber der Betreuer*innen zur Rechenschaft gezogen werden, die gegen Arbeitsgesetze verstoßen. 

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