Grölende Männer mit bemalten Gesichtern, gekleidet im Outfit ihres Vereins, zu späterer Stunde dann auch oben ohne, mit Bierfahne und Senfbart, das Testosteron im Höhenrausch. Zum vollkommenen Erlebnis fehlt nur noch der Sex. Gerne gegen Geld, dann gibt’s keine Zimperlichkeiten.
Und oftmals vermischen sich diverse Fußballfan-Klischees mit der Realität, vor allem im „Hier kennt mich keiner-Auswärtsspiel“ unter Gleichgesinnten.
Vom 14. Juni bis 14. Juli 2024 fand in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft der Männer statt. Die Spiele wurden in zehn verschiedenen Städten ausgetragen. Dort wurden nicht nur die jeweiligen Teams untergebracht, sondern auch die eigens angereisten Fans. Das Angebot an kaufbarem Sex schnellte dabei in die Höhe, der Anteil an Zwangsprostitution und Menschenhandel liegt im Dunkeln.
Politische Stimmen
Bereits im Vorfeld gab es Bedenken bezüglich einer Zunahme der Zwangsprostitution und der Sicherheit von Prostituierten allgemein. Dorothee Bär, Bundestagsabgeordnete der CSU, setzte sich vor Beginn der EM für einen besseren Schutz für Prostituierte ein: „Was wir schon feststellen können, ist, dass beispielsweise von den großen Bordellen auch geworben wird: Deine Mannschaft hat gewonnen, komm und feiere doch ausgiebig und exzessiv deinen Sieg bei uns, oder: Deine Mannschaft hat verloren, dann komm doch zu uns und reagier dich bei uns ab. Also hier wird ganz bewusst eingeladen, damit zu feiern, aber auch Niederlagen auf eine sehr unschöne Art und Weise zu verarbeiten.”
Auch laut Recherchen der FU! Braunschweig warben viele Escort-Agenturen während der EM mit Begleitung zu den Spielen oder zum Public Viewing. Einschlägige Online-Inserate haben sich während der EM teilweise verdoppelt.
Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Gründerin des Parlamentskreises Prostitution und Pornografie berichtete im Gespräch mit der „Rheinischen Post“, dass schon im Ausland dafür geworben werde, „wie einfach und legal es ist, in Deutschland Frauen zu kaufen. Wir können davon ausgehen, dass die Nachfrage auch während der Europameisterschaft nicht durch Freiwillige gedeckt werden kann und es deshalb noch mehr Zwangsprostitution geben wird.“ Sie wünsche sich im Hinblick darauf „einen Moment des Nachdenkens, bevor man eine Frau zur Benutzung auswählt: Kann sie das jetzt wollen oder wird sie dazu gezwungen“.
Ein zu befürchtender Anstieg der Zwangsprostitution wurde auch im deutschen Bundestag diskutiert.
Die Bundesregierung setze sich „konsequent dafür ein, potenzielle Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu schützen“. Menschenhandel und Zwangsprostitution seien daher auch Gegenstand des Sicherheitskonzepts der EM, mit dem Ziel, „die Besuchenden der Stadien zu sensibilisieren und Tatgelegenheiten entlang der Reisewege zu reduzieren“. Auch wurden an den Austragungsorten Infomaterialien verteilt und Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene angeboten.
Zusätzlich hat beispielsweise die Stadt Köln die Anzahl ihrer Streetworker aufgestockt, das Düsseldorfer Gesundheitsamt hat während der Spieltage die Testmöglichkeiten für sexuell übertragbare Infektionskrankheiten erweitert. Dortmund wollte mittels Veranstaltungen und Kampagnen sensibilisieren, die Frankfurter Polizei hingegen vermehrt gegen Straßenprostitution außerhalb der erlaubten Zonen vorgehen.
Nur Schätzungen möglich
Eine genaue Zahlenerfassung ist schwierig, da sich die wenigsten Prostituierten registrieren oder anmelden. Bundesweit sind etwa 28.000 ihrer Anmeldepflicht nachgekommen, die Dunkelziffer wird jedoch auf ein Vielfaches geschätzt.
Laut Erobella, einem der größten deutschen Erotikportale, ist bereits seit Mitte Mai ein Anstieg von Prostituierten zu verzeichnen. Auf Basis einer Hochrechnung der Neuregistrierungen geht das Erobella Research-Team von ca. 13.700 Prostituierten – einem Plus von etwa 31% – aus, die für die EM angereist sind. Generell, so schätzt Erobella, arbeiten bundesweit ca. 90.000 Prostituierte.
Mit rund 4.350 war der höchste Anstieg in Hamburg zu verzeichnen, weiters, in absteigender Reihenfolge, Berlin, München, Köln und Dortmund und mit knapp 60 zusätzlichen Prostituierten Leipzig. Weitere Auswertungen ergaben, dass mit 35% die meisten Prostituierten aus Osteuropa stammten, 24% aus Lateinamerika, 11% aus Deutschland, 10% aus Asien und 7% aus Mitteleuropa.
Parallel dazu wurden die Preise erhöht – pro Stunde kostete eine Frau während der EM durchschnittlich 175 Euro, rund 7,5% mehr als 2023.
Der „Bundesverband Nordisches Modell“ rechnete laut EMMA wie folgt: „1.200.000 Freier am Tag. 80 Prozent Opfer von Menschenhandel in der Prostitution. Macht 1.000.000 Vergewaltigungen jeden Tag.“ Das Bündnis aus über 30 verschiedenen Initiativen hat für die EM eine Mitmach-Kampagne ins Leben gerufen
Die #RoteKarteFürFreier für eine EM ohne Sexkauf
Gegen eine Spende konnte jeder sogenannte „Aktions-Kits“ mit Roten Karten, Flyern in verschiedenen Sprachen, Stickern, Bierdeckeln und Dekoartikeln bestellen. Auch zum selbst Drucken gab es verschiedene Download-Möglichkeiten.
Unter dem Motto „Fan statt Freier“ wollte der Bundesverband wichtige Aufklärungsarbeit leisten:
„Kein Event: Zu großen Sportevents werden unzählige Prostituierte in die Austragungsorte gebracht. Die meisten von ihnen unter falschen Versprechungen.
Kein Heimspiel: Die meisten Frauen in der Prostitution kommen aus den ärmsten Ländern nach Deutschland. Menschenhändler und Zuhälter nutzen ihre Notsituation aus.
Kein Fairplay: Frauen erleben in der Prostitution schwere physische und psychische Gewalt. Sie werden genötigt zu tun, was der Freier will. Er hat das Geld und damit die Macht.“
Silvia Reckermann, Mitglied des Bundesverbands, verteilte am Münchner Olympiapark Rote Karten „Die meisten Leute reagieren sehr positiv auf die Kampagne. Wir versuchen fröhlich rüberzukommen und sagen nicht: Hallo, bist du auch ein Freier? Wir unterstellen niemandem, dass er ein Freier ist, sondern wir gehen davon aus, dass alle für die Menschenrechte sind“.
Alles eine Sache der Einstellung
Der Berufsverband für sexuelle und erotische Dienstleistungen zeichnete für die Fußball-Europameisterschaft ein fröhlicheres Bild: „Unter Kolleg*innen ist derzeit keine Angst vor Überforderung zu verzeichnen, sondern eher eine Vorfreude und Hoffnung auf ein paar mehr Kunden und damit steigende Verdienste während der EM. Darüber hinaus stehen viele Sexarbeitende „Gruppen“ nicht so negativ gegenüber, wie man glauben mag – mehr Kunden sind in der Regel gerne gesehen.“ Außerdem unterliege das Geschäft regelmäßigen Schwankungen wie Frühlingsbeginn, Monatserste und das Ende der Weihnachtszeit, und reguliere sich dabei selbst.
Treffender scheinen allerdings die Worte der FU! Braunschweig: „Die Ausbeutung von Menschen in der Prostitutionsindustrie muss entschieden bekämpft und die Öffentlichkeit über die dunklen Seiten von Sportgroßveranstaltungen aufgeklärt werden.“
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