Männliche Sexarbeit – Wenig Forschung viele Stigmen

Wenn über Sexkauf gesprochen oder geforscht wird, stehen meist Frauen im Fokus. Über männliche Sexarbeiter wird sehr viel seltener berichtet. Dabei zeigen selbst die wenigen Informationen, die wir über männliche Sexarbeiter haben, eine völlig andere Seite von Sexarbeit, als wir sie von Frauen kennen.

ANDERE BEWEGGRÜNDE ALS SEXARBEITERINNEN

Zwar ist der Großteil der Sexarbeiter:innen weiblich (in den USA beispielsweise um die 80 %), trotzdem ist es erstaunlich, dass so wenig über männliche Sexarbeiter geforscht und geschrieben wird. Dadurch entsteht eine sehr einseitige Darstellung von Sexarbeitenden, denn während Sexarbeiterinnen teils unter Vorwänden nach Österreich gelockt werden – z. B. indem ihnen eine Anstellung als Kindermädchen versprochen wird – wissen männliche Sexarbeiter für gewöhnlich, worauf sie sich einlassen. Männliche Sexarbeiter haben auch meist keine Zuhälter, sondern arbeiten selbstständig. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie diesen Beruf aus gänzlich freien Stücken gewählt haben. 

Zwar gibt es teilweise besser gestellte Sexarbeiter, die dann häufig über das Internet ihre Dienste anbieten und als Callboys arbeiten. Dennoch kommen auch viele männliche Sexarbeiter aus ärmeren Verhältnissen und sehen in der Sexarbeit ein notwendiges Übel, um Geld zu verdienen. Das zeigt etwa eine Doku aus dem Jahr 2015 über das Stricher-Lokal Rüdiger im 5. Bezirk in Wien. Hier verdienen junge Männer aus Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern Geld für ihre Familien, indem sie für ein hauptsächlich homosexuelles Klientel Blowjobs anbieten. Während manche Sexarbeiter selbst homosexuell sind und auf diesem Weg auch ihre Sexualität ausleben, gibt es jedoch auch viele, die heterosexuell sind und Sexarbeit ausschließlich wegen des Geldes betreiben. 

Als Stricher werden, in Unterscheidung zu Callboys, jene Sexarbeiter bezeichnet, die aus schwierigeren Verhältnissen kommen und auf die Sexarbeit angewiesen sind. Callboys sind sich dieser Definition nach eher ihres Wertes und ihrer Fähigkeiten bewusst und würden ihre Arbeit auch eher als Beruf bezeichnen als Stricher. Es gibt jedoch auch Kritik an dieser Unterscheidung, mit dem Argument, dass die individuellen Biographien und Arbeitsweisen von Sexarbeitern sehr unterschiedlich sind und nicht in zwei Kategorien gesteckt werden können.

HIV UND HOMOPHOBIE ALS HERAUSFORDERUNGEN

Obwohl die meisten Sexarbeiter also vermutlich keine Opfer von Menschenhandel sind, so ergreifen doch viele diesen Beruf aufgrund von Geldproblemen und prekären Verhältnissen. Abgesehen von finanziellen Problemen, die männliche und weibliche Sexarbeiter:innen vereinen, stehen Sexarbeiter jedoch vor anderen Herausforderungen als Sexarbeiterinnen. In der Vergangenheit waren die beiden Hauptprobleme die HIV-Epidemie und Regulierung von Homosexualität. Sexarbeiterinnen wurden in der Vergangenheit generell stärker reguliert als Sexarbeiter, doch mit dem Aufkommen von HIV rückten auch Männer in den Fokus von Regierungen und wurden neben homosexuellen Männern als deren Verbreiter dargestellt.

Die Forschung zu HIV-Infektionen unter Sexarbeitern ist jedoch nicht eindeutig. Manche Studien ergaben, dass es zu höheren Zahlen unter Sexarbeitern kam, andere zeigten kein höheres Risiko. Allerdings sind Sexarbeiter teils höheren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt als Sexarbeiterinnen, da sie eher zu ungeschütztem Sex genötigt werden oder diesen selbst wollen, und weniger Hilfsangebote für Männer in der Sexindustrie existieren. Auch Verbote von homosexuellen Handlungen waren und sind in vielen Ländern noch immer eine große Einschränkung für Sexarbeiter, deren Zielgruppe hauptsächlich homosexuelle Männer sind. Frauen nehmen sexuelle Dienstleistungen eher im Urlaub in Anspruch, etwa in der Karibik, in afrikanischen Ländern oder in Thailand. 

Abgesehen von gesetzlichen Einschränkungen erfahren männliche Sexarbeiter teilweise Gewalt, Exklusion und Stigmatisierung, wenn auch meist nicht in dem Ausmaß wie Sexarbeiterinnen. Homosexuelle Sexarbeiter sind von doppelter Diskriminierung ihrer Tätigkeit und Sexualität betroffen. Als Folge von Stigmatisierung und Ausgrenzung fühlen viele männliche Sexarbeiter Scham über ihre Tätigkeit. Vor allem auf der Straße arbeitende Sexarbeiter wiesen in einer Studie aus Dublin erhöhte Werte hinsichtlich Depression und Suizidalität auf. In der Biografie von Sexarbeitern findet sich auch häufig Missbrauch in der Kindheit, Schulabbruch oder Suchtmittelabhängigkeit. Dennoch ist es wichtig, Sexarbeiter nicht nur auf eine problematische Vergangenheit zu reduzieren, sondern als Individuen mit teils sehr unterschiedlichen Werdegängen und Einstellungen zu ihrem Beruf zu sehen.

ZU WENIG FORSCHUNG

Dasselbe Problem, das wir in der allgemeinen Perspektive auf (männliche) Sexarbeit sehen, existiert auch in der Forschung. Wie vorhin schon erwähnt, ist nur wenig über männliche Sexarbeiter bekannt und die vorhandene Forschung beschäftigt sich hauptsächlich mit Drogenkonsum oder HIV-Fällen unter Sexarbeitern. Andere Themen wie Stress oder psychische Belastung wurden in der Erforschung von männlicher Sexarbeit häufig ausgeklammert. Deshalb fehlen heute viele Daten, die Aufschluss über das Leben und die Arbeitsweise von Sexarbeitern geben und soziale Arbeit in diesem Bereich unterstützen könnten. 

Durch die fehlende Erforschung und Berichterstattung, fehlen in weiterer Folge Hilfsangebote, weil entweder kein Bedarf an Hilfe erkannt wird oder nicht klar ist, in welchen Bereichen männliche Sexarbeiter Hilfe benötigen. Auffällig ist ebenfalls, dass männliche Sexarbeit, ähnlich wie weibliche, in der Forschung häufig aus einer Problemperspektive heraus betrachtet wird. Anstatt sich auf die Probleme von Sexarbeitern zu konzentrieren, wird die Sexarbeit selbst als das Problem dargestellt.

Diese Herangehensweise schädigt auf lange Sicht nicht nur die Sexarbeiter selbst, sondern auch uns als Gesellschaft, da wir das Phänomen (männliche) Sexarbeit nur dann vollständig verstehen und richtig darauf reagieren können, wenn wir auch alle Fakten darüber kennen. Zukünftige Forschungen und auch soziale Arbeit sollten also neben problematischen Aspekten von Sexarbeit (die es auf jeden Fall gibt) auch auf die Lage der Sexarbeiter eingehen und diese nicht von vornherein kriminalisieren oder übergehen. 

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