Die schwarzen Schafe der Pädagogik

Ein Verdachtsfall auf sexuellen Missbrauch in einem Wiener Kindergarten hat große Wellen geschlagen. Mittlerweile wird in vier Fällen ermittelt. Es besteht Handlungsbedarf für die Politik, denn die Maßnahmen zum Kinderschutz in elementarpädagogischen Einrichtungen sind mangelhaft. Auch bei diversen Freizeitangeboten für Kinder lauert Gefahr, denn die MitarbeiterInnen werden oft nicht auf vergangene Straffälligkeiten überprüft. Wie kann man die Kleinsten im pädagogischen Bereich besser davor beschützen, in falsche Hände zu geraten?

MISSBRAUCHSVORWÜRFE GEGEN PÄDAGOGEN

In einem Kindergarten in Wien-Penzing wurde vor etwa einem Jahr einem Pädagogen vorgeworfen, er habe ein Kind sexuell missbraucht. Die zuständige Magistratsabteilung MA10 hat den Fall nicht öffentlich gemacht, da der Sachverhalt mit den Eltern des betroffenen Kindes intern geklärt wurde. Dreizehn Monate später, im Mai dieses Jahres erst, erfuhren die Eltern der anderen Kinder von der ganzen Geschichte, darauf wurden weitere Anzeigen eingereicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt momentan in insgesamt vier Verdachtsfällen und holt dazu Gutachten ein. Es wurde außerdem eine Kommission ins Leben gerufen, die die Vorwürfe von Wien-Penzing prüfen und bis spätestens Anfang Juli einen Bericht vorlegen soll. Der beschuldigte Pädagoge war unlängst in den Innendienst versetzt worden. Die Medien sowie die Eltern, werfen der Stadt Wien einen Vertuschungsversuch vor – es gibt auch Pläne seitens der Eltern, die Stadt zu verklagen.

Als wäre das nicht schlimm genug, berichteten Medien auch von einem Vorfall in einem privaten Kindergarten im 23. Bezirk. Hier soll ein Betreuer zwei Kinder gewürgt und auf der Toilette belästigt haben.

REAKTIONEN DER POLITIK

Nachdem die Medien darüber berichteten, war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die politischen Parteien zu Wort meldeten. Die FPÖ forderte die sofortige Suspendierung der Leiterin der MA10, Anfang Juni wurde diese tatsächlich abgesetzt. Auch die Standortleitung des besagten Kindergartens im 19. Bezirk musste ihre Tätigkeit ablegen. Außerdem werfen die FPÖ und die ÖVP dem Stadtrat vor, zu spät gehandelt zu haben und fordern weiterführende Maßnahmen in Form von Kinderschutzkonzepten oder einer von der Stadt finanzierten Ombudsstelle. Die Grünen betonen, dass pädagogisches Personal, gegen welches Verdacht besteht, bis zur lückenlosen Aufklärung nicht in Kontakt mit Kindern kommen darf.

WIE SICHER SIND KINDER IN DER FREMDBETREUUNG?

Eltern und Erziehungsberechtigte sind zu Recht verunsichert. Das Wichtigste für sie ist, ihr Kind mit einem guten Gefühl einer anderen Betreuungsperson übergeben zu können. Das Vertrauen gegenüber der Institution Kindergarten ist klar beschädigt. Vor allem aber auch gegenüber männlichen Pädagogen – auch zu Recht? Pädagogik-Professor Bernhard Koch betont, dass es keine wissenschaftlichen Hinweise darauf gibt, dass pädophil veranlagte Männer vermehrt in Kindergärten arbeiten würden. Er bedauert, dass Männer, die sich gerne mit Babys und Kleinkindern beschäftigen, im mitteleuropäischen Raum unter Generalverdacht stehen, pädophil zu sein. In Skandinavien zum Beispiel ist der Anteil von Männern, die im elementarpädagogischen Bereich tätig sind, um einiges höher als bei uns. Solche negativen Medienberichte, ob die Anschuldigungen sich nun bewahrheiten oder nicht, schaden dem Image von Pädagogen enorm.

UNZUREICHENDE ÜBERPRÜFUNG

Schwarze Schafe gibt es leider überall, und unter ihnen sind Frauen genauso wie Männer. Es braucht bessere Maßnahmen, um diese zu erkennen und von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Leider sind die Schutzmaßnahmen in Österreich nicht besonders ausgereift. Neben den Skandalen in Kindergärten wurde vor kurzem auch bekannt, dass ein Mann, der vor mehr als zehn Jahren wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurde, Sportkurse für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren anbot. Seine Vorstrafe ist mittlerweile getilgt, das bedeutet, sie scheint in seinem Strafregisterauszug nicht mehr auf. Zuletzt war der Mann für den Österreichischen Alpenverein tätig und leitete verschiedene Outdoor-Kurse. Die Vizepräsidentin des Alpenvereins Nicole Slupetzky teilte den Medien mit, dass die Zusammenarbeit mit dem Verurteilten mittlerweile beendet wurde. Sie weist alle Schuld von sich, denn der Verein habe 11.000 freiwillige Mitarbeiter, es sei schlichtweg nicht möglich, jeden einzelnen zu überprüfen. Außerdem sei die getilgte Vorstrafe des Mitarbeiters im Strafregister ja ohnehin nicht sichtbar gewesen. Slupetsky sieht stattdessen den Gesetzgeber in der Verantwortung. Es handelt sich um einen Systemfehler: Eine Person, die wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurde, sollte schlichtweg nie wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürfen. Die derzeitige Gesetzeslage gewährt keine rechtliche Möglichkeit, diesem Mann die Kinder-und Jugendarbeit zu verbieten. Er kann weiterhin auf selbstständiger Basis Ferienkurse anbieten.

MÖGLICHE ANSÄTZE FÜR BESSEREN SCHUTZ

Expertinnen und Experten wittern hier eine Gesetzeslücke und fordern ein österreichweit geltendes Kinderschutzgesetz. Ein generelles Berufsausübungsverbot für ehemalige Sexualstraftäter wäre ein Anfang. Die Juristin Barbara Steiner, die seit vielen Jahren als Prozessbegleiterin in Missbrauchsverfahren im Einsatz ist, sieht dies auch so. Der Gesetzgeber müsse eine Strategie finden, pädagogisches Personal besser zu prüfen, egal ob Kindergarten oder Feriencamp.

Einen extremen, außerordentlichen Weg geben wie so oft die USA vor. Dort gibt es eine öffentliche Webseite, auf der man alle SexualstraftäterInnen, die ihre Zeit im Gefängnis abgesessen haben, abrufen kann. Lebe ich beispielsweise in einem Vorort von Boston, kann ich online nachsehen, ob im Umkreis von einer Meile ein(e) SexualverbrecherIn wohnhaft ist. Nicht nur ein Foto, sondern auch die exakte Adresse aller Verurteilten ist für die Allgemeinheit sichtbar. So ein Register wäre in Österreich undenkbar, allein schon aufgrund der Datenschutzverordnungen.

Das Kinderschutzzentrum „Möwe“ fordert die Einführung einer Art von „Kinderbetreuungs-Gütesiegel“. Außerdem sollte man als Elternteil darauf achten, dass die Einrichtung bzw. die Organisation ein entsprechendes Kinderschutz-Konzept vorweisen kann.

DAS VIER-AUGEN-PRINZIP

Ein Schutzsystem, das sich bestimmt bewähren würde, ist das Vier-Augen-Prinzip. Dieses fällt jedoch im Kindergarten aufgrund des akuten Personalmangels weg. Gäbe es genug pädagogische Fachkräfte, wäre es vermeidbar, dass eine(r) allein ein Kind wickelt oder beim Klogang behilflich ist, ohne dass ihm/ihr jemand über die Schulter schaut. Der Schlüssel zu einem sicheren Umfeld für Kinder (aber auch für männliche Pädagogen) wäre eine „Kultur des Hinschauens“. Im Idealfall sollte es im Alltag nicht vorkommen, dass sich eine Betreuungsperson mit einem Kind alleine in einem geschlossenen Raum befindet. Schon bei der Architektur kann hier viel mitgeholfen werden, zum Beispiel durch den Einbau großer Fenster in das Wickelzimmer. Vor allem aber durch einen besseren Betreuungsschlüssel – welcher bekanntlich schon seit Jahren gefordert wird – könne man die Sicherheit in Kindergärten definitiv erhöhen. Im Moment sieht es nicht danach aus, als ob sich dahingehend bald etwas verbessern würde. Eines ist klar: Männer aus dem Kindergarten hinauszuekeln ist nicht fair, denn die meisten von ihnen sind großartige Pädagogen, die den Kindergartenalltag bereichern.