
Viele Teenager träumen davon, eines Tages im Blitzgewitter der Kameras über den Laufsteg zu schreiten, die neuesten Kreationen ihrer Lieblingsdesigner:innen zur Schau zu stellen und schließlich auf dem Titelblatt angesagter Magazine zu landen. Seit beinahe zwei Jahrzehnten befeuert die von Heidi Klum moderierte Reality-Show Germany’s Next Topmodel diesen Wunsch, indem sie junge Frauen (und seit 2024 auch Männer) Woche für Woche in verschiedenen Challenges auf die Probe stellt – mit dem verlockenden Versprechen eines Modelvertrags, einem stattlichen Preisgeld und natürlich großen Karrierechancen. Doch nun stellt sich die Frage: Ist das Modelbusiness wirklich so glamourös, wie es auf den Bildschirmen wirkt?
Finanzielle Ausbeutung durch Agenturen
Wer auf schnelles Geld hofft, wird oft enttäuscht. Wie nun in einer VOLLBILD-Recherche belegt wurde, kann der vermeintliche Traumberuf nämlich schnell zur Schuldenfalle werden. Besonders für Nachwuchsmodels entstehen hohe Kosten für Reisen, Unterkünfte, Fotoshootings und Castings, die von Agenturen oft nur vorgestreckt, aber nicht vollständig übernommen werden.
Ekaterina Ozhiganova, selbst Model und Gründerin der Organisation ModelLaw, kritisiert die systematische finanzielle Ausbeutung in der Branche:
„Für uns ist mittlerweile klar: Modelagenturen missbrauchen systematisch die Rechte ihrer Models und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Was ich damit meine, ist kein direkter Missbrauch, sondern unserer Erfahrung nach vor allem finanzieller Missbrauch, finanzielle Ausbeutung.“
Beispiel: Die Modelwerk Academy
Ein besonders problematisches Beispiel ist die „Modelwerk Academy”. Die renommierte Hamburger Modelagentur „Modelwerk” bietet unerfahrenen Models ein mehrtägiges Trainingsprogramm an, das als „perfekter Schnellstart“ in die Branche beworben wird. Inhalte des Workshops sind unter anderem Fotoshootings sowie Catwalk- und Social-Media-Training. Die Kosten belaufen sich auf 2.200 Euro.
Die Models Sina und Emma (Namen geändert) wurden bei Modelwerk unter Vertrag genommen. Ihnen wurde versichert, dass sie die Academy-Kosten nicht direkt zahlen müssten. Stattdessen sollten die Kosten mit zukünftigen Model-Jobs verrechnet werden. Doch die erhofften Aufträge blieben aus. Ohne Unterstützung von ihrer Agentur und mit immer höheren Schulden wurden die beiden nach einem Jahr plötzlich aus ihrem Vertrag entlassen. Es folgten Rechnungen, Mahnungen und Anwaltsschreiben. Ihre Fälle landeten schließlich vor Gericht.
Claudia Midolo, die für die Academy von Modelwerk verantwortlich ist, verteidigt das System. Ihrer Meinung nach gebe es in jeder Branche unzufriedene Menschen und das Problem liege einfach daran, dass man in Deutschland nicht für Fort-/Weiterbildungen zahlen wolle. Ein Problem der richtigen Einstellung also?
Kritik von Branchenkennern
Nicht ganz. Branchenkenner wie beispielsweise Peyman Amin, ehemaliger Booker von Heidi Klum und Ex-Juror von Germany’s Next Topmodel, kritisieren solche Geschäftspraktiken scharf:
„Ich finde nicht mal 20 Euro gerechtfertigt. Wichtig ist, dass die Models am Anfang gar kein Geld ausgeben. Eine seriöse Modelagentur sollte stets darauf achten, dass gerade in den ersten Schritten im Aufbau des Models keine Kosten für das Model entstehen.“
Obwohl Amin davor warnt, alle Agenturen über einen Kamm zu scheren, räumt er ein, dass es viele unseriöse Agenturen gibt, die bereits vor der ersten Jobvermittlung Geld verlangen.
Wer schön sein will muss leiden?
Der Traum vom Laufsteg kommt für viele aber meist nicht nur mit finanziellen Risiken. Auch die Gesundheit der Models leidet unter den brutalen Standards der Branche. Der berüchtigte Size-Zero-Trend, der bereits in den 1990er Jahren umstritten war, feiert derzeit sein Comeback und verlangt von Models, in eine Kleidergröße zu passen, die der europäischen 30/32 entspricht.
Zur Verdeutlichung: Die Größe 30 in der EU entspricht der internationalen Größe XXXS.
Der psychische Druck, dem viele Models ausgesetzt sind, ist gewaltig. Hunger, exzessives Sporttraining und die ständige Angst vor Gewichtszunahme sind für viele an der Tagesordnung. Das Model Anne-Sophie Monrad, welches für renommierte Marken wie Givenchy, Gaultier und Karl Lagerfeld lief, hat die gesundheitlichen Folgen dieser extremen Körperideale am eigenen Leib erfahren. Sie berichtet gegenüber VOLLBILD:

„Man ist da total in seiner Bubble. Und… unterstützt sich sozusagen gegenseitig. Und fällt damit in eine totale Essstörung..“
Damit beschreibt Monrad die Realität vieler Models. Die meisten Agenturen verlangen eine konstante Kontrolle über das Gewicht: Es darf nur abgenommen, aber nicht zugenommen werden – selbst Muskelaufbau wird kritisch beäugt:
„Mein größtes gesundheitliches Risiko war das Ausbleiben meiner Periode. Und das muss man immer so betonen. Das heißt, nicht nur für den Moment riskiere ich meine Gesundheit, sondern das kann langwierige Folgen haben.“
Obwohl die Modebranche über die vergangenen Jahre hinweg mehrfach Besserung gelobt hat, zeigt die Realität, dass sich wenig verändert hat. Modekonzerne wie Kering, zu dem unter anderem Yves Saint Laurent gehört, sowie Moët Hennessy – Louis Vuitton SE (LVMH) veröffentlichten eine Charta, in der sie versprachen, die Kleidergröße 32 aus ihren Casting-Anforderungen zu streichen. Eine Analyse von VOLLBILD zeigt jedoch, dass sich diese Selbstverpflichtung nicht konsequent in der Praxis widerspiegelt. So liefen auf der Paris Fashion Week im Jahr 2024 wieder sechs Models für Yves Saint Laurent und zehn Models für Louis Vuitton, die gemessen an der Charta eine zu kleine Kleidergröße trugen.
#METOO: Auch sexualisierte Gewalt ist keine Seltenheit…
Neben finanziellen und gesundheitlichen Risiken droht vielen Models ein noch größeres Problem: Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt. Die Modelbranche ist seit Jahren dafür bekannt, dass ein starkes Ungleichgewicht zwischen aufstrebenden Models und mächtigen – meist männlichen – Fotografen, Designern und Agenten herrscht. Das Model Caro Schäffler berichtet gegenüber VOLLBILD:
“Ich weiß, dass es immer noch gang und gäbe ist, dass gewisse Models gewisse Jobs nur machen, weil sie sich auf gewisse Dinge eingelassen haben mit einer Person, die einem im Gegenzug etwas dafür bieten konnte.“
Dieses ungleiche Machtverhältnis schafft einen Nährboden für sexuelle Übergriffe und Missbrauch. Schäffler selbst hat solche Erfahrungen gemacht, unter anderem bei einem Testshooting, bei dem der Fotograf sie ohne vorherige Absprache unbekleidet fotografieren wollte. Solche Übergriffe sind in der Branche kein Einzelfall, sondern Teil eines systemischen Problems, bei dem Models oft das Gefühl haben, sich fügen zu müssen, um beruflich voranzukommen.
Ein besonders erschreckendes Beispiel für diese Missstände ist der Fall von Mike Jeffries, dem ehemaligen Chef des US-Modekonzerns Abercrombie & Fitch. Im vergangenen Jahr wurde er wegen des Vorwurfs des Sexhandels angeklagt. Laut der Anklage soll er zusammen mit seinem Partner einen Prostitutionsring organisiert haben, in dem Models in mehreren Ländern ausgebeutet wurden. Der Missbrauch soll an mindestens 15 Personen zwischen 2008 und 2015 begangen worden sein.
Die Branche steht vor einem dringenden Wandel. Strengere Kontrollen, transparente Verträge und eine klare Abkehr von toxischen Idealen sind notwendig, um das Modelbusiness sicherer zu machen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass Models nicht ihre Gesundheit und Würde für den Traum vom Laufsteg aufs Spiel setzen müssen.
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